Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

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Frau Stockl
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Mi 22. Jun 2022, 23:43

Der Gendarm vom Broadway (1965)
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"Na los, ihr vertretet Frankreich!"
Wenig bis keine Zeit lässt man sich für die Vorbereitung und die Abreise, hat man es seitens des Drehteams und der verkörpernden Beteiligten insgesamt sehr eilig. Auf Saint-Tropez und das bekannte Polizeirevier wird nur ein kleiner (allerdings schon sehr von der Öffentlichkeit beachteter und fast schon unangenehm schaulustiger) Blick inklusive begleitender Prozession geworfen, bekommt die Lokalität an der Côte d’Azur eine kurze Verortung, fast noch weniger als im Vorgänger das Bergdörfchen Belvedere. Immer auf dem Sprung, immer auf Achse ist Darsteller De Funès sowieso, hier können ihn auch die Vorgesetzten nicht mehr bremsen und die Untergebenen schon lang nicht mehr. Los geht's mit dem Bus nach Nizza, ab Paris mit dem Zug, später mit dem Kreuzfahrtschiff ("Das Schiff ist wunderschön, aber es ist zu groß. Und wenn Sie einen herumführen, ist es doppelt so groß.") und zwischendurch mit dem Flieger. Von der alten Welt in die neue Welt, eine Steigerung des Kommerz, eine Reise mit Vergütung, wobei die Rechnung zumindest in Frankreich mit über zwei Millionen weniger Zuschauer irgendwie nicht aufging. (Zwei Bondfilme, genauer gesagt Goldfinger und Feuerball waren prominenter an den Abendkassen, sowie vor allem noch Scharfe Sachen für Monsieur.)

Gaudi kommt trotzdem und eingangs auch vermehrt auf, bei dem Englisch-Radebrech und dem extra eingeführten Schnellkurs Fremdsprachenkunde ("My flowers are beautiful." - "Your flowers are not beautiful!" - "My flowers are wohl beautiful!" - "Ihre flowers sind Käse! Käse!"), wobei der Wortwitz hier gegenüber dem in dieser Hinsicht recht kargen ersten Teil geradezu Blüten der Kreativität aufbringt ("Hören Sie mit den Albernheiten auf!" - "Ich bin nicht albern. Ich kann keine Luft kriegen." - "Man braucht keine Luft, wenn man ertrinkt."), und Ungeschick bis Deppentum aller Involvierten da auch sympathisch macht, befreiend lachen und grüßen lässt. Eine Dienstreise ja, aber verbunden mit Urlaub, mit Luxus pur, mit Annehmlichkeiten, mit Abschalten vom Alltag, mit leichten Entertainment am Abend und All-inklusive; darin eingebunden auch eine Geschichte, in der die Polizistentochter Nicole erneut für Scherereien (und zunehmend ärgerliche Versteckspielchen, anhaltende Missverständnisse und "Just a little Anschiss, but everything alright.") sorgt, und dies, obwohl sie eigentlich eine junge Frau schon und tatsächlich (mit 21) volljährig nun auch ist, und einer daraus auch einhergehenden Krimianalogie, die nach der Verlegung des Schauplatzes an die amerikanische Westküste langsam ihre ersten Fühler ausstreckt und nach hinten raus vollends in den Aktionismus geht.

Waren es zuvor die anheimelnden maritimen Aussichten und der Sommer, Sonne, Strand und Meer, was (neben den französischen Mädchen) für Liebreiz für die Augen sorgte, so sind es jetzt und nur der Gigantismus pur. Die glorreichen Panorama- und Hubschrauberaufnahmen, die Wolkenkratzer, die breiten Straßen, die Menschenmassen im Big Apple, das Gerenne und Gewusel durch die Stadtschluchten, die Missverständnisse mit der Sprache und den Gewohnheiten der Amerikaner – der mediale Werberummel, die Frauenrechtsbewegungen, das Aufkommen der Psychoanalyse, die plötzliche aufwändige Hommage/Parodie von West Side Story, Baseball etc. –, was mittig und auf Dauer aber etwas zu viel des Guten ist und da miteinbezogen viel (teils rassistisch angehauchter) Länderklischees auch arg bemüht wirkt.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Sa 25. Jun 2022, 16:30

Balduin, der Heiratsmuffel (1968)
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Ferienbeginn ist hier, die Sehnsucht nach Ruhe war auch cineastisch angesagt, der Film diesjährig auf Platz Zwei der alljährlichen Kinokassen, aktuell kein anderer De Funès am Start, kein Bourvil und auch kein Bond, was die Konkurrenz erleichterte und den Weg frei machte zum Treppchen und fast zum Hauptgewinn. (Dschungelbuch hat gewonnen.) Erkämpft hat man den abermaligen Etappensieg mit dem Festhalten an Tradition, nicht mit tiefgreifenden oder gar tiefgründigen Veränderungen, sondern einer verständlichen und verständlich einfachen Geschichten, die ebensolche Zutaten ausweist und auch im Humor die leichte Sprache spricht. Von Anbeginn an wieder auf Hochtouren, diesmal mit einer speziellen Mission, dem Aufhalten von Verkehrsrasern und anderen Strassenrowdies und sowieso dem sich heranwalzenden Flüchtlingsstrom. Die Gegend wird von mehreren Seiten und mehreren Lagern aus erkundet und gepeilt, Autokolonnen in Augenschein genommen und halsbrecherische Stunts und bald auch die entsprechende Geschicht' drumherum gesponnen.

Als zukünftige Ehefrau und dabei Aufhänger der Episode hier hat man Claude Gensac ausgesucht und zur Madam Cruchot erwählt; Gensac hat schon in Balduin, der Ferienschreck (1967) und Oscar (1967) an der Seite des kleinen Wirbelwindes, des hibbeligen Giftzwerges gespielt und stellt eine Art Gegenspieler für diesen dar und den optischen und intellektuellen Gegensatz, ohne das Tempo herauszunehmen oder das Spiel von De Funès zu blockieren. Als Darstellerin selber beliebt, wurde der durchaus schwierige Moment der privaten Anbindung in der dahingehend bislang eher prüden und rein beruflich angelegten Serie - in Teil 1 und 2 hat in unsachlichen Nebenplots nur die blutjunge Tochter so etwas wie Männerbekanntschaften, aber platonisch bleibend - schon mit der durchdachten Besetzungsentscheidung bereinigt. Den Rest erledigt die Liebe, der zweite Frühling, das Schweben auf Wolke Sieben, wo überirdische Gewalten walten und das Dienstliche eben vorübergehend unwichtig ist und in zweiter Instanz nur steht. Nebenan und hinterher ist auch bald Cruchot selber, verstehen die beiden Frauen sich untereinander doch zunehmend immer besser.

Dass man noch vor Mai '68 angedacht und geschrieben war, merkt man dabei deutlich, an der gewissen Ehrfurcht vor Rang und Titel, an der Simplizität auch der Klassen- und Geschlechterrollen; dass man während des Mai '68 Probleme hatte, auch in der Bredouille saß wie der Rest des Landes und auch geteilter Meinung zu den Geschehnissen und darüber durchaus Streit im Team aufkam: merkt man eher nicht. Politische oder gesellschaftliche Verantwortung bzw. eine Stoßrichtung kann man natürlich hineinlesen (“Eine Unverschämtheit ohne Beispiel. Diese jungen Leute heute sind von einer Unverfrorenheit, von einer Zügellosigkeit, da schießt einem das Wasser in die Augen. Die moralische Verkommenheit greift immer mehr um sich. Erschreckend.“), da hätte aber auch Der Gendarm von Saint-Tropez schon Jahre zuvor Veranlassung zu geboten. Zudem kommt der Polizeifilm hier mehr zum Tragen, später zeigt man mit der Wasserschutzarbeit weitere Facetten, zwischendurch verhaftet man tatsächlich noch einen mit dem Messer bewaffneten Kriminellen, der erst auf der Flucht ist, aber dann in den brutalen Angriff gehen will und vor Gemeingefährlichen nicht zurückschreckt, und die Episode mit dem Lernen für die Prüfung zur Beförderung und das tatsächliche Examen selber, sowie dem anschließenden Umsturz auf dem Revier nimmt auch seinen Raum ein: als kleine dramaturgische Note, als Prämisse für ein wahnwitziges, wenn auch völlig unterinszeniertes, geradezu unregistriertes Stuntspektakel im Finale und als Steigbügelhalter für die Gags.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Sa 2. Jul 2022, 23:58

Balduin, der Schrecken von St. Tropez (1970)
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Hat man am Ende von Balduin, der Heiratsmuffel einige neue Seiten von Saint Tropez, immerhin dem Handlungs- und Spannungsfeld seit der ersten Stunde entdeckt, so eröffnet die (aus finanzieller Hinsicht) logische Fortsetzung diesmal wieder mit a) altbekannten und b) zur Einführung auch recht knapp gehaltenen Bildern. Die Gendarmerie natürlich kommt ins Bild, das Haus, das gleichzeitig als Büro und Revier und auch Unterkunft der Polizisten samt ihrer Familien gilt (und nunmehr in realiter Museum ist), der Tag selber ist wie immer sonnig, gefühlt Mittagszeit, nichts aufregendes hinter und nichts Aufregendes vor sich. Möchte man meinen. Doch es kommt schlimm und eingangs auch mit Verdruss.

Eine unbarmherzige Zeit, in der wir leben. Sie fordert das letzte von uns.
Noch deutlicher sind die Worte 'Erschlaffung', 'Vitalität und Spannkraft lassen nach',' in ihrem Alter', die Truppe hat ausgedient, sie gehört zum alten Eisen, sie ist nur noch einsatzfähig für den Lebensabend, sie ist zu betagt. In Uniform hat man den Tag begonnen, in Zivil gehen es weiter, den Dienst muss man übergeben und verlassen, das Gebäude muss man räumen. “Wir leben in einer Zeit des ungestümen Fortschritts, einer dynamischen Zeit.“ heißt es da und heißt es weiter, als Folge dessen gibt es einen sehr lang gezogenen Witz (die Geschichte vom Rotkäppchen, die während der Reitstunde erzählt wird), viel bewegtes Minenspiel und einen selbst für die Serie wirklich brachialen Gag, Slapstick pur, mit absurden Gewaltmomenten, in der erst Cruchot von seinem Butler malträtiert wird und dann diesen und das zur Hilfe eilende Dienstmädchen als Retourkutsche ordentlich boxt, den Schwinger in den Magen, die Rechte ins Gesicht.

Nach etwa 20 Minuten krawalliger Tristesse und eher kläglichen Zeitvertreib ist der Spuk vorbei, werden im Film und vom Film Brücken der Erinnerung zu früheren Abenteuern errichtet und auch ein narratives Alibi für Rückblenden gar und ein Zusammenschluss der Rentnertruppe gebaut; läuft man alsbald zur Hochform zwischen nostalgischer Sentimentalität und lockerem Humor auf, eine Pilgerfahrt zu den Quellen, zu den Ursprüngen zurück. Speziell der Erstling Der Gendarm von Saint Tropez wird reaktiviert und in großer Komödienkunst wieder erweckt, die Nudistenszene am Strand einmal nachgestellt und einmal nach den neuen, den modernen Anforderungen der hiesigen Gesellschaft modifiziert, die Nackten sind noch nackter, die verjüngte, hochgewachsene, leicht faschistisch angehauchte Polizei kommt gleich mit ganzen Hundertschaften und wie zur Feindbezwingung ins Kriegsgebiet angeschossen. Vom Polizeifilm der ersten drei Abenteuer hier zwischendurch zum Hippie- und Nonnenfilm, vom Jäger zum Gejagten, mit Blumenkindern, mit Weltenfreude, mit Liebe und Glückseligkeit. Später müssen wieder die Stuntmen für die Lacher ran, bei horrenden Fahrkapriolen, bei denen man mehr außerhalb des Wagens hängt oder an ihm, statt in ihm, zwischendurch wird ein wenig gewandert, Schafherden mit 'Mäh'-Rufen als Fluchtwerkzeug gebraucht und die Natur erkundet. Die Gendarmen A.D. wirken dabei so harmlos und großartig deppert, wie sie letztlich auch sowieso sind, hierbei - in dieser Art vorgezogenen filmischen Abschiedsgeschenk - haben sie auch mehr Zusammenhalt als zuvor, sind tatsächlich ein Team, auch Cruchot, der sonst immer etwas außen vorstand, ist nunmehr integriert und nicht nur mittendrin, sondern eben auch dabei. Selbst Fougasse, dessen Darsteller bei Der Gendarm am Broadway wegen Fehlverhaltens am Set leicht aus der Handlung herausgeschrieben wurde, ist hier dritter Mann im Bunde und auch das deutlich erklärte Ziel der narrativen Führung.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » So 3. Jul 2022, 22:38

Louis' unheimliche Begegnung mit den Außerirdischen (1979)
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Die Jahre sind ins Land gegangen, das Jahrzehnt ist fast zu Ende, in der Mitte der Sechziger hat man das Küstenstädtchen erkundet und erobert und die ruhmreiche Karriere angefangen. Das Gebäude steht noch, damals noch, heute als Museum weiter, Cruchot hat abgenommen und eine andere Frau (bzw. die gleiche Frau, aber gespielt von jemand anderem) bekommen. Zwei neue Kollegen hat er auch, ein Darsteller ist abgesprungen, der andere war zeitlich nicht verfügbar, der Rest (zu Beginn einige kleine Autostunts, der Schabernack zur Einleitung, der lockere Umgang mit Dienstvorschriften) geht getreu der altgedienten und altbewährten Formel weiter. Dann wird bei Patrouille im Lande die fliegende Untertasse auf einer Lichtung entdeckt: jetzt noch, kurz darauf mit einer affenartigen Geschwindigkeit weg. Das Verlassen der (vergleichsweisen) Bodenständigkeit (und Harmlosigkeit) der früheren Filme hat man dabei schon mit dem Ende des Vorgängers Balduin, der Schrecken von St. Tropez a.k.a. Louis in geheimer Mission angekündigt, mit dem dortigen Raketenbau, dem einen verfolgenden Sprengkopf und der Bombenentschärfung, ein leichter Sprung ins abenteuerlich Absurde und comigal überdrehte da schon vorhanden, und hier auf die Spitze und direkt in die harte Science fiction (und in den absoluten Blockbusterstatus, selbst in Deutschland mit über 5 Mio. Zuschauern) getrieben.

"Also, wie sah es aus, dieses Fluggerät?" - "Also, die Souli...die Silhouette war tropezförmig." - "Trapezförmig heißt das doch wohl." - "Ja, tropezförmig, sag ich doch, mit vielen Bullaugen. Viereckig." - "Jetzt sind es viele Bullaugen, vorhin waren es nur vier, und die waren rund." - "Ja genau, rundeckig." - "Rundeckig? Vorhin sagten Sie, das Ding war rund. Dann war es oval. Und mit einem mal ist es tropezförmig."
Dabei ist das Geschehen zwischen Sein und Schein, Fassade und Inneres, und Körper und Geist erstmals eher spannend bis gar gruselig, ähnlich wie bspw. Der Große mit seinem außerirdischen Kleinen (ebenfalls 1979, hier auch mit 3 Mio. gelösten Karten an der Abendkasse der Lichtspielhäuser), der ähnliche Motive mit sich führt und (für eben kleinere Zuschauer) auch fast zu erwachsen schon gehalten ist, dort auch mit zu Herzen gehender Emotionalität, welche hier nicht so recht vorkommen mag, der Humor aber auch phasenweise krachlederner und so mehr erleichternd ist. Genug haarsträubende Szenen vom letzten Schutzwall der irdischen Zivilisation gibt es (neben etwas Blut und nackte Tatsachen) dennoch, der nächtliche warnende Besuch auf dem Polizeirevier bspw., mit den ersten Demonstrationen des Könnens und der Fähigkeiten wie dem Gestalten wandeln und das Annehmen der Identität des Gegenübers, der Bodysnatcher-Faktor demnach, nur hier als Doppelgänger und nicht in der Vernichtung des 'anderen Wesens'. Der blecherne Klangkörper, der jegliche Angriffsmaßnahmen des Homo Sapiens abwehren kann, das Schießen mit den Laseraugen und die versuchte Entführung im Wald ist genauso furchterregend wie die musikalischen Klänge des Komponisten Raymond Lefèvre, der hier erneut in die Tasten greift und dabei ein speziell bedrohliches Theme entwickelt.

Humoristisch wird eingangs mit der unterschiedlichen Glaubwürdigkeit und dem Verwechseln echter mit 'falscher' Persönlichkeiten vorgegangen, was aufgrund der fortgeschrittenen dramaturgischen, teilweise auch humanistischen Komponente - die wesentlich früher starten als bei den Vorgängern, welche erst im Schlussakt so etwas wie ein Ziel haben, wenn überhaupt - und dem Kampf um die Wahrheit und die Aufklärung (der Versuch des Einzelnen, die ungläubige Masse wachzurütteln; später auch die zunehmende Verunsicherung untereinander und selbst bei Einzelpersonen, die ihrer eigenen Paranoia aufgrund der Ebenbilder erlegen) eher aufreibend und entnervend als auflockernd ist; Giraults erneut unauffällige, eher das Chaos beobachtende Regie tut da ihr Übriges. Die lange Drehpause und die beiden überstandenen Herzinfarkte vom Hauptdarsteller währenddessen merkt man hier übrigens nicht, de Funès ist auch körperlich ordentlich dabei, von den Schauspielern fehlen gerade die zuvor auch mehr prägnanten Christian Marin und Jean Lefebvre schon, auch wenn einer der Neuankömmlinge, nämlich Maurice Risch tatsächlich würdiger Ersatz, der andere mit Jean-Pierre Rambal aber noch weniger auffällig als die übergebliebenen Gendarmen ist.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Di 5. Jul 2022, 00:06

Louis und seine verrückten Politessen (1982)
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Es existiert eine Neue. Sie trägt auch ein Armband. Ich wollte sie mitbringen, aber sie hat mir die Schnauze poliert. Vorsicht, die gesamte Gegend stinkt nach Bullen hier.
Die Zeit vergeht. Die Stunde schlägt.
Diesmal ohne vorangestellte und einleitende bzw. die Wogen der Empörung in vorauseilenden Gehorsam glättende Texttafel, nichts von der Unterscheidung zwischen komödiantischer Unterhaltung und dem Ehrerbieten der brüskieren Uniformierten. Saint Tropez wird hier auch vom Lande aus angefahren und nicht vom Wasser, neue Eindrücke, neue Aussichten, phänomenale Bilder, vorbei an der Bucht von Boucaniers. Ein Konvoi fräst sich durch die kleine Altstadt, spätestens am Yachthafen erkennt man auch die Örtlichkeit wieder. Der “unbarmherzige Lauf der Zeit“ schlägt hier trotzdem gleich mehrfach zu, in mehrerlei Hinsicht, im zunehmenden oder anhaltenden Verschleiß der Küstenstadt, die für einen prominenten Tourismusschauplatz erstaunlich abgeplatzte Fassaden aufweist und ebenso schäbige Dächer. Im Umzug des Büros und im Einzug von riesigen Computern, Druckern, Kopierern und anderen beigen Ungetümen. Es bleibt bei dem alten Vorgesetzten, es gibt abermals einen neuen Gendarmen; Fortschritt und Veränderungen und beibehaltenes und beizubehaltendes liebgewonnenes gehen quasi einher und Hand in Hand.

Ähnlich eng soll man auch mit den vier Praktikantinnen arbeiten, Befehl von oben, “höflich freundschaftliche Beziehungen“ sind aufzubauen, mit den “Schlüpferbullen“; reichlich offensiv geht es hier ran und verbal vor allem vor, “Waren aber ganz schön fett im Höschen, die Röschen.“ heißt es da, als man vermeintlich die Polizistinnen abholt und stattdessen eine Vierergruppe stabil gebauter Urlauberinnen trifft: “Nein! Das kann doch nicht sein! Die dicken Pflaumen mit ihren Bratkartoffelhosen und den Mondgesichtern auf unserem Revier?“. Bodyshaming, Fatshaming, Degradierung, Erotisierung, Exotisierung, Ethnisierung, Kolonialisierung, Liberalisierung, Visualisierung, Idealisierung, Fetischisierung, Sexualisierung, die ganze Palette an politischer Unkorrektheit wird hier aufgefahren, den (echten) Kolleginnen dann sofort an die Wäsche gegangen und gestiert und gefummelt und nicht bloß eindeutig zweideutig sinniert, sondern in Tagträumen verfallen: Cruchot hat beim Anblick der dunkelhäutigen Anwärterin prompt einen Josephine Baker Verschnitt vor den geistigen Augen und geht direkt auf libidinöse Safari; was der Zuschauer angesichts der Grimassen der alten weißen Männer und ihrem Her mit den kleinen Französinnen schlimmstenfalls? bestenfalls? mit einem lüsternen Lachen quittiert.

Die “Agonie einer Zivilisation“ also, das “Ende einer fantastischen Welt“, der “Anfang eines zweiten Frühlings“, ein „unruhiger Herbst“, zwischendurch gibt's eine motorisierte Verfolgungsjagd mit einer einfallenden Rockerbande, schlüpfrige Gags wie beim Hofbauer, beim Gottlieb oder beim Marischka, eine überdrehte Massenkarambolage, Eskapaden im Schlafsaal, der Film hat ein allgemein erhöhtes Tempo als die Vorgänger und ist von Anbeginn an auf Reiberei und Liebelei, auf Geschlechterkrieg mit wild gewordenen Männern, liebreizenden Damen und verkniffenen Ehefrauen gestrickt. Mehr Dramaturgie wird hier auch geboten, (scheinbar) ein Mädchenhändlerring Marke Heiße Nächte in St. Tropez a.k.a. St. Tropez Vice (1987) eingeworfen, ein schmuddeliger Actionkrimi mit Kidnapping, Erpressung, Waffendrohen, Unterwäschebildern und Attentatsversuchen, wobei die Gendarmerie sich genauso tollpatschig anstellt wie vorher gegen die Außerirdischen (“Ich meine, wir haben getan, was wir konnten. Jetzt kommen wir genauso erfolglos zurück, wie wir die ganze Zeit waren.“), was etwas entnervend sein kann und entlarvend auch ist.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Sylvio Constabel » Di 5. Jul 2022, 07:48

Ich wünschte, ich könnte das lesen. Für wen ist das denn geschrieben? Unser einziger Intellektueller, Vega, ist weg und Sacchi schreibt auch nur noch über aufgeblasenes Snobfutter. Wo? Nicht hier.
Bei Sylvio mag ich, er guckt halt auch viel mit dem Herzen. Jimfried Nullinie

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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von JimmyPage » Di 5. Jul 2022, 08:09

Ich mag Stockls Sicht auf die Dinge :thumbup:
äffle: "was isch groß?" - pferdle: "stuttgart!" - äffle: "was isch größer?" - pferdle: "der neckar!" - äffle: "und was isch am größten?" - pferdle: "hmm, spätzle und linsen!"

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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Di 5. Jul 2022, 10:08

Sylvio Constabel hat geschrieben:
Di 5. Jul 2022, 07:48
Für wen ist das denn geschrieben?
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Fr 12. Aug 2022, 00:17

Fantomas (1964)
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"Komm, tu mir ein Gefallen, mein Junge, und bring ein bisschen Abwechslung ins Programm."
Spielend in der High Society hat auch der Film eine ganz erstaunliche Exklusivität zu bieten, Luxus in der gesamten Umgebung und der Ausstattung, entsprechendes Benimm und nobles Auftreten, ein Gestus der Oberen Zehntausend, gekoppelt mit einem Szenario, dass sich der gerade angesagten Spionagefilme ebenso bedient (Hunebelle, der Denys de La Patellière ersetzt hat, hat zuvor und parallel einige OSS 117 gedreht, die einheimisch auch in den Top 20 gelandet sind) wie dem hochwertigen französischen Kriminal- und Polizeifilm. Maske und Verkleidung, Tarnung und Täuschung, das Nutzen und Verwenden falscher Identitäten, eine eingängige Titelmelodie, die sich gleichzeitig nach Abenteuer und Bedrohung klingend durch die gesamte Trilogie mit zieht. Eine Geschichte zwischen dem Adel und dem kleinen Mann, zwischen dem Reporter, dem Commissaire und dem Verbrechergenie, zwischen dem Anpeilen an die zugrundeliegende Buchreihe, dem Übernehmen nur einiger Grundmotive, der Zuwendung an internationalen Mainstream, ein 'Geschöpf der Fantasie', eine Comédie policière im voluminösen Franscope und kräftigen Eastmancolor.(...)

"Man sollte denken, ich hätte meine Existenz ausreichend unter Beweis gestellt.", sagt die Titelfigur beizeiten, entsprechend fliegend ist der Start, geht man von bekannten Fakten aus und erzählt die Handlung mittendrin einfach und einen speziellen Abschnitt davon weiter. Erst die Missetaten in der Stadt, an der Rue de Castiglione, den königlichen Plätzen, der Avenue des Champs-Élysées, dann die Fahndung vor den Toren der Metropole, im Département Val-d’Oise, der La Roche-Guyon Gemeinde, eines der schönsten Dörfer des Landes, in einer langgezogenen Treibjagd erkundet und als Finale und Cliffhanger für mehr und kommendes gleichermaßen abgerundet. Angeboten wird Spannungskino und Abenteuerkomödie, reich an Dekoration, Spezialeffekten und Gestus, kräftig und dennoch gediegen in der Optik, zwischen Hollywood und Europa, modern und klassisch, als Spektakel (mit einem etwas zu ausufernden Showdown mitsamt dem Einsatz von Zweirad, Vierrad, Lokomotive, Hubschrauber und Schnellboot) zeitgenössisch attraktiv und dennoch nachhaltig und nicht antik; ein schwieriger, wenn im Grunde unmöglicher und hier auch nicht gänzlich gelungener Spagat voller Hirngespinste, der im selben Jahr vergleichbar nur etwa dem britischen James Bond 007 – Goldfinger und auch nur mit demselben Aufwand, Attraktion, Attraktivität und dem Zusammenspiel aller Kreativen gelingt.
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Re: Der offizielle Louis-de-Funes-Thread

Beitrag von Frau Stockl » Mo 15. Aug 2022, 19:35

Fantomas gegen Interpol (1965)
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"Es ist kaum ein Jahr vergangen, seit dem Fantomas die Bevölkerung in Furcht und Schrecken versetzt hat.", die Ereignisse von damals sind im Vorspann comigal festgehalten, die Jagd auf den Verbrecher über Häuserdächer hinweg sowie zu Wasser, zu Lande und in der Luft. De Funès, dessen Charakter des Commissaire Juve bis dato nicht mehr im Drehbuch involviert war, hat sich außerhalb des Filmes und in ihm in die erste Reihe manövriert, er bekommt die ersten Szenen und den Beifall der Umherstehenden, während Marais bei Seite stehend gute Miene zum bösen Spiel macht und ihm auch, allerdings zurückhaltend gratuliert. Was beide eint und beide verbindet ist die Titelfigur des kriminellen Genies, welcher nunmehr tatsächlich die Weltherrschaft gleich anstrebt; Fantomas macht die Ankündigung und die Umsetzung des Vorhabens, ein Überfall auf ein wissenschaftliches Labor, das Ausschalten der Wachen, die Entführung eines Professors, das Auslösen eines chemischen Unfalls und das Freisprengen des sich schließenden Tores mit einem explosiven lenkbaren Fahrzeug bei der Flucht. Waren es im Vorgänger eher ein paar Juwelenraube mit harmlosen Finten und Tricks, wird nun Gewalt eingesetzt und Verletzte bis gar Tote in Kauf genommen, auch seitens der Polizei übrigens, die ebenfalls Schusswaffen zücken und einsetzen. Vorwegnahmen von Kriminal (1966), Killing in Istanbul (1967) oder Gefahr: Diabolik (1968), die dem hiesigen französischen Unhold später noch landeseigene 'Kollegen' an die Seite stellen.

Überhaupt wird das Szenario hier ungleich größer gehalten, geht es um Hypnose, Telepathie, Gedankenkontrolle, das Spielen mit und das Nutzen von anderen Menschen, das Erschaffen von Robotern des Willens, das Missbrauchen von Fortschritt, Technologie und Wissenschaft; beunruhigende Faktoren, die in der Bebilderung selber auch durchaus martialistisch gehalten sind, und gleichzeitig überaus anheimelnd eingerichteten 'privaten' Räumen gegenübergestellt: Sowohl das Redaktionsbüro als auch das vom Polizeipräsidenten sehen eher aus wie Wohnzimmer oder Hotelsuiten, gerade das erstere ist reichlich gemütlich arrangiert und erinnert mehr als die Liebeshöhle und den Rückzugsort von Fandor und Hélène (die später emotional erpresst wird) als einen Arbeitsplatz, eine ausschweifende Prügelei ist in einer Art Theaterfundus oder Requisitenhalle, dessen akrobatische Einlagen auch an die Period Piece Abenteuer vom eingeschweißten Team Hunnebelle als Regisseur und Marais als sein Hauptdarsteller erinnern. Bestes Teilstück: Eine längere suspensereiche Versteck- und Verwirrszene mit dramaturgischen Unterbau und zahlreichen Running Gags im Nachtzug auf der Fahrt nach Rom , ein bisschen die übersteigerte Antwort auf ein ähnlich situatives Aufeinandertreffen in Das Verräterische Auge (1965) oder Liebesgrüße aus Moskau.
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