Der deutsche Film - womöglich doch gut?

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Sylvio Constabel
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Sylvio Constabel » Do 9. Dez 2021, 09:27

Angucken!!
Bei Sylvio mag ich, er guckt halt auch viel mit dem Herzen. Jimfried Nullinie

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Frau Stockl
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » So 19. Dez 2021, 12:13

Ich liebe Victor (1984)
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A teenage girl and her best friend spend the summer holidays together in a village. Then a good looking teenage boy appears, which creates a rift between them as they compete for his attention.
Die Zeit ist hier eine andere, eine längst vergangene, das Land der DDR ist nunmehr gleich ganz verschwunden oder hat sich zumindest (mehr oder minder) in die Bundesrepublik Deutschland integriert. Die Geschichte bleibt allgemeingültig, Geschlechter egal, Herkunft, Datum, das Auftauchen der ersten großen Schwärmerei - oder ist es schon die Liebe? - übertrifft alles und ist das Entscheidende und das Wichtige. Es gibt übrigens schon einen Jungen in dem Leben beider Teenager, Uwe heißt er, ein Jungbauer bei der LPG, es wird getollt und geneckt und dabei auch körperlich nah aufeinander zugegangen, "den heirate ich vielleicht mal" sagt man dann mal im doch kindlich-naiven Übermut, und will sich gleich "zehn Kinder anschaffen"; aber mit Victor ist es anders und mit Victor ändert es sich und mit Victor wird es höchstens für eine der beiden Mädchen gut. Oder auch gar nicht.

"Wann werdet ihr erwachsen?" heißt es beizeiten im Film, von der Oma, und "Wie alt seid ihr eigentlich?" fragt Inas Mutter; das Alter ist hier schwebend, der Übergang vom Mädchen zur Frau und zurück fließend. Ebenso schwankend sind hier die Gefühle, gerade (die etwas reifer wirkende) Hauptfigur Kathrein verändert sich stark, von jetzt auf gleich auch, mal abweisend, dann fast dankbar für jede Form von Aufmerksamkeit, mal einfühlsam, weiß selber nicht was los ist und was sie will, mal giftig auch bis spöttisch und zynisch gegenüber Dingen und Personen, die sie einen halben Tag vorher noch gemocht hat und die ihr nun über und 'hässlich' sind. "Nun werd mal endlich wieder normal", sagt die Oma schon am zweiten Tag, womit sie dem Zuschauer fast aus der Seele spricht.

Der Ort ist aber wichtig, eine Kuhbläke draußen vor den Toren der Stadt, wenig Asphalt und viel Matsch. Arbeit wird großgeschrieben und ist meist körperlicher Natur, die Männer natürlich und die Frauen in der Feldbaubrigade sowieso. Nur weil für die Mädchen Ferien sind, heißt es hier nicht ruhen, Ablenkungen wie der Baggersee (im Steinbruch Demitz-Thumitz) oder abends ein Rummel sind nicht selbstverständlich und weniger Gewohnheit als vielmehr Abenteuer. Die Regie wirkt dabei (durch die zunehmende Unsympathie der eigentlich als Identifikation ausgemachten Kathrein) sowohl mutig als auch oft atemlos, mancherlei Gefühle überzogen und viel Hektik und Massen von Menschen inklusive. Die meisten Jüngeren sind relativ aufgedreht und unbändig im Verhalten und den ausgedrückten Gefühlen, normal ja, aber ebenso ein Teil der Älteren, was alles zusammen insgesamt zu Beginn noch spontan wirkt, bald aber recht anstrengend über repetitiv bis unausgeglichen bis gar lebensfern, und durch die musikalisch Kakofonie noch weiter akzentuiert wird.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Di 21. Dez 2021, 05:36

Unternehmen Geigenkasten (1985)
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Ten years old Ole often gets in trouble for his crazy ideas. Just released from hospital after an attempt to fly with home-made wings, he becomes witness of a traffic accident. He observes that one of the men has a false beard, which makes him suspicious.
Ein Krimi für die Großen und die Kleinen, mit Tempo, mit leichtem Witz, mit der Spannung eines Rätsels, was zu entdecken und entschlüsseln ist. Als Film der Gruppe Johannisthal ist das hier moderner als die üblichen Produktionen, die meist Märchen und wenig zeitgenössisch sind; nicht bloß durch den Trubel der Großstadt (und Altstadt) Brandenburg, sondern die Figuren, die trotz jungen Jahren schon mit beiden Beinen im Leben stehen und keine wirkliche Hilfe mehr brauchen und mit den (erstaunlich unfreundlichen bis feindlich gesinnten bis aggressiven) Erwachsenen schon umgehen können und dennoch selbständig für sich als aktive Kraft auch sind. So werden im "sozialistischen Wettbewerb" allerlei Tricks hier angewandt, um sich Accessoires zu beschaffen und Informationen zu besorgen, nach und nach die Ermittlungen vorangetrieben und tatsächlich etwas Großem auf die Spur gekommen; bald kommt gar ein zweiter Fall mittendrin hinzu und wird bei dem ersten die (recht unbedarfte bis nutzlose) Kriminalpolizei ("Schwache Leistung von den Genossen.") informiert, wodurch der unschuldig Verdächtige der ansonsten lückenlosen Zeugenaussagen ganz schön in Verzweiflung und ins Schwitzen gerät. Die Handlungsführung ist auf die Kinder im Film, aber eher auf Familien als Zuschauer abgestimmt, es liegt nicht etwa eine Unterforderung, sondern Einfühlungsvermögen für den Nachwuchs und auch deren Beschränkungen (die Abendruhe seitens der Eltern, der für Kinder verbotene Zutritt im Krankenhaus oder auf dem Fabriksgelände, die Ignoranz oder Arroganz der Erwachsenen vor.)

Viel los also, ein stetes Treiben und Geschehen, mit emsig Bewegung und Milieuschilderung durch die Stadt (deren oftmals trostlosen, offensichtlich verwahrlosten Straßenzüge, Wohnreihen und Geschäfte auch abseits vom Ruinenviertel der Kapellenstraße eher einen überkommenen Eindruck machen), wo Holmes und Watson Junior genauso wie ihre beiden Vorbilder als eng vertrautes, auch in der Hierarchie über- und untergeordnetes Gespann und (fast) jederzeit mit Ergänzung und Zuverlässigkeit agieren. Frauen stören da nur, hier ist es die Marie, die einen 'Keil' in die Freundschaft zu treiben versucht, nach Ansicht von Wortführer Ole zumindest, für den Mädchen jetzt noch Störenfriede, bei so einer Männeraktion fehl am Platze und sowieso hinderlich bei seiner einzelgängerischen Führungsposition, mit Profilierungszweck ("Aber ich bin der Chef!") sind.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Mi 22. Dez 2021, 01:19

Moritz in der Litfaßsäule (1983)
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Nine-year-old Moritz Zack drives parents, siblings and teachers to despair with his thorough but slow way of thinking. He tears away from home and lives in an advertising pillar.
Trotz teils ähnlicher Ausgangsbasis ist der Film anders als bspw. Das Schulgespenst, das Kind als Protagonist hier wirkt schwächer, da sensibler, die Gegend ist trotz wieder Kleinstadt lauter, die Schule ist moderner. Der Vater ist kein 'Kumpel', der beste und wohl auch einzige Freund zieht weg, nach Leipzig, also aus den Augen verloren und aus dem Sinn. “Im Märchen ist alles viel einfacher“, hier leider nicht. Moritz hat Geschwister, mehrere sogar, Mädchen, sind die (mit vielleicht Ausnahme der Kleinsten) aber selber gänzlich gängelnd und auf Zack, also dem Namen alle Ehre machend. Ob man die Zeit nicht anhalten kann, fragt er später seine Mutter, zu dem Zeitpunkt, als in der frühs gerade sein bester Freund mit dem Möbeltransporter vorbeigerauscht ist und ein letztes mal grüsst. Für einen Moment bleibt da auch die Mutter still und stehen, dann muss es zack zack weitergehen.

Regisseur Losansky hat dafür abermals und wiederum viel Zeit, Muße, Sinn und Fingerspitzengefühl für seine Filmhelden, aber auch für die Umgebung und die Umgebenden, konzentriert sich auf das Leben des Kindes, auf das Individuum und das Besondere, ohne seine Eltern und die Umstände und die Realität (anders als wie beim fantastischen Abenteuerwestern Der lange Ritt zur Schule) nicht aus den Augen zu verlieren. Sechs Worte stehen auf dem Abschiedszettel nur, “Es hat mir nicht mehr gefallen.“, sechs Worte, die alles aussagen und alles begründen und die vor allem die Mutter treffen, welche neben der kleinsten Schwester dem ewigen 'Nachzügler' noch am nächsten stehen.

Doch keine Angst, für Moritz und den Beobachter und Begleiter beginnt das Abenteuer damit erst, "das ist ein Film für alle, die die Welt noch mit drei Augen sehen können", geht die Geschichte dann erst richtig los und teils anekdotisch weiter, wird ein Puppentrickfilm mit einer animatronischen Katze als neue Freundin draus und Erinnerungen über den ersten Schultag und den Hamster in der Zuckertüte sowie die Besuche des Vierbeiner in der Brauerei zum feierlichen Besäufnis miteinander geteilt, und auch erzählt, warum der Schäferhund des Polizisten jetzt vielmehr wie Zotti, das Urviech aussieht. Erzählen tut man auch, dass man sich nirgends vor dem Leben verstecken kann, und dass das Weglaufen hier gleichzeitig mit sich selber einsperren daher geht.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Mi 22. Dez 2021, 19:56

Der lange Ritt zur Schule (1982)
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A young boy fantasizes his way to school into a battle between cowboys and Indians, where the bad guys want to steal some gold medals.
Regisseur Losansky hat schon immer ein Händchen für seine heranwachsenden Darsteller gehabt, für die Nöte der Kinder auch und deren Bezug, für die Träume, die noch gemacht werden und noch ausgelebt, und wo der Alltag erstmal zurücksteht und in den Hintergrund geht. Im Alltag - Die drei Ecken vom Halstuch: Schule, Elternhaus und Pionierorganisation - gibt es auch keinen Applaus und Auszeichnung für den besten Schützen (oder den besten Sportler), sondern für fleißiges Altmaterial sammeln, für gute Lernhaltung, nochmal für gute Lernhaltung, direkt vorne vor der gesamten Schule in der Aula, und vom Direktor höchstpersönlich propagiert.

Alex sieht das etwas anders, was er uns auch kundtut und womit er auch durchaus recht hat, wird das Geschehen hier aus einer speziellen Perspektive erzählt, die neben dem Blick auf die Adoleszenten auch natürlich auch ein kleines Auge auf die Erwachsenen und deren Verhalten und Tun und nicht immer zu deren Vorteil wirft.

Doch was echt ist und was nicht und nur in Gedanken visualisiert, wird hier nicht unterschieden - mal läuft es parallel, mal wird der Gegenwartsfilm gezeigt, dann ist der Western überhand, durchaus gröberer Art auch, mit Stürzen, Pulverrauch und Donnergrollen -, sondern geht eine gesamte Verbindung ein, Realität und Irrealität ist für den Jungen hier dasselbe und für den Zuschauer auch, da es Alex' Geschichte und das Publikum eben nur Publikum und Beobachter und Begleiter ist. Alex lässt dabei auch andere noch mit in die Erzählung, die rasch ein Eigenleben entwickelt, den 'Roten Milan' zum Beispiel, und er hat auch eine Nemesis, die 'Schwarzen Schakale auf den Feuerstühlen', die sich eine Verfolgungsjagd durch die Stadt (Wittenberg) liefern und mit ihren Krafträdern Leute erschrecken und die dreckigen Abgase in die Umwelt versprühen. Getreu dieser vielen Zutaten wird auch ordentlich was geboten, äußerlich zumindest, Spektakel und Stunts, Reitszenen von wilden Horden direkt in der Altstadt, das Erschaffen einer wildwestlichen Poststation, dazu Rauchzeichen in den Bergen, warnend vor Goldkutschenräuber und der Gefahr im Tal der toten Hand; wobei im letzteren (gedreht in der Teufelsmauer von Weddersleben) nicht nur Gebeine verstreut herumliegen, sondern auch ein Aasgeier lauert und ein schrecklicher Unfall passiert, welcher zum Glück noch humoristisch und mit der Diagnose Comotio Lappalia aufgelöst wird. Inhaltlich ist das Ganze etwas mau, da ist rein der Weg das Ziel.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Do 23. Dez 2021, 17:32

Das Schulgespenst (1985)
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10-year-old Carola Huflattich is an unruly girl at home and at school. When she meets the school ghost Boo, she swaps roles with him.
Die Schule steht in der Bachstadt Arnstadt, Thüringen, hier (Baujahr 1906) eher baufällig aussehend und leicht veraltet, und gerade deswegen rurig bis gemütlich wirkend; das Aussehen der Umgebung und vor allem auch der Lehranstalt erinnert recht an westdeutsche Spät-Sechziger-Pennälerklamotten, der Hausmeister könnte auch von Hans Terofal oder Georg Thomalla gespielt werden, so energisch und auffallend agil er angesichts der vielen kindlichen Strapazen ist. Die kleinen Darsteller machen das besser und überzeugender, ein auch lebensfrohes Spiel, dass den Alltag und die Sorgen ernst nimmt, aber natürlich wirkt und mit der unauffälligen und gleichzeitig behutsamen, der Blickwinkel der baldigen Adoleszenten einnehmenden Regie eine Zweckbeziehung, ein sich gegenseitig ergänzendes Zusammenleben eingeht. Wünsche werden zur Wirklichkeit, Gedanken zu Taten, "ich werde träumen" und "ich werde fliegen" steht analog dazu an der Schiefertafel. Erst wird natürlich bei den Zensuren geholfen, dann der Kreativität Überschuss geleistet ("Manches ist wirklich zu schwer für die Erwachsenen zu verstehen."), den Sehnsüchten gefolgt und der Vorstellungswelt für einen Moment freien Lauf gelassen und alles bisher Unmögliche ausprobiert.

Carola ist dabei in fast jeder Szene zu sehen, erst beim Körpertausch wird zuweilen der Realfilm mit dem (liebevoll getricksten) Animationsfilm und dann zu einem anderen 'Körper', aber nicht einer anderen Darstellerin und so für die Außenwelt noch zur optisch gleichen Person gewechselt. Die Veränderungen, die man vorher gewollt hat, ein Anpassen des Mädchens wird nunmehr zur Last für die Beteiligten und vor allem die nähere, mit ihr eigentlich befreundete Umwelt. Sozial war man vorher eigen, aber integriert, nun steht die falsche Carola der Gesellschaft ebenso außen vor wie Carola als Geist keine Rückmeldung und (außer zum besten Freund Willi) keine wirkliche Interaktion mehr erhält. Interessanterweise wirft man mit und abseits der Trickgrafik dann auch einen Nebenblick auf die Größeren, allgemein auch die Eltern con Carola, deren gemeinsame Fernsehabende, wo eh nur zwei Programme im Angebot sind und meist der Krimi läuft, oder der fehlende Ehrgeiz in der Berufsausübung ("Wenn alle irgendetwas leiten, wer soll denn dann die Arbeit machen?"), speziell aber auch die sich anbahnende Beziehung zwischen dem Sportlehrer und der Klassenleitung, die im Privaten und im Feierabend aufhört und nach und nach als Genosse und Genossin in der Schule beginnt.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Mo 27. Dez 2021, 15:09

Das geheimnisvolle Wrack (1954)
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Several children find out what's the matter with a wreck offshore, which puts them into jeopardy.
Eine insgesamt brüchige Mischung aus Aschenbrödel (die Suche nach dem Besitzer des kaputten Schuhs in der zweiten Hälfte), Lütt Matten und die weiße Muschel (das Beweisen wollen gegenüber den Erwachsenen, die die “Lümmel“ und“ Schietbüttel“ hier auslachen bis ignorieren) und Die Mörder sind unter uns (“Bist hier doch nicht bei der SS.“ - “Kommt alles wieder.“), die hier präsentiert wird.

Zwei Heinrich Greif - Preisträger sind mit an Bord des Filmes, der Kameramann und der Regisseur, beide haben ihn für den Dokumentar- (und Propaganda)film Blaue Wimpel im Sommerwind (1952) (über das Pioniertreffen in Dresden 1952) gewonnen, wobei der Preis selber für hervorragende sozialistisch-realistische Filmkunst verliehen wurde und als staatliches antifaschistisches Gedächtnis. Der Zweite Weltkrieg ist hier noch nah und entsprechend auch das Politikum und das Militär nicht weit, schwebt gerade in der hiesigen Gegenwart immer noch die Gefahr und damit der Tod auch mit. Die Kinder haben sich einen alten Bunker 'gekapert' und als imaginäres Schiff u.a. auf dem Weg nach Grönland umfunktioniert, während unten an der Küste ältere Teenager tatsächlich in Uniform und mit dem Gewehr über der Schulter im Auftrag und Dienste des Landes patrouillieren und als Grenzpolizei der DDR auf der Späh nach Feindkontakt sind.

Das Wrack selber ist ein gesprengtes Schiff eines früheren SS-Standartenführers, der es aufgegeben hat und versucht zu versenken. Es gibt den Aufmarsch der Armee, einer Abgesandtschaft zumindest, die vorher mit einem Schnellboot das Küstenboot des Kommandanten in voller Fahrt einer Übung gekreuzt haben, und es gibt den Spionagekrimi um vom Nazi versteckte Brandampullen und geplante Attentate und entsprechend auch den Schmuggelthriller (mit angekündigt noch Sprengstoff, Waffen, Dollars) plus zum Showdown den maritimen Aktionsfilm mit Verfolgungsjagd, Feuererlaubnis und Wasserbomben auf stürmischer See; aus ist es mit der bisherigen Ruhe der Küstenlandschaft, die nur die ersten Sekunden eine Idylle versprochen hat, die hier in "Freundschafts" - Rufen und zackigen Kommandos und einer bisweilen seltsamen Ernsthaftigkeit und ebensolchen ominösen Zwischenszenen (wie dem eher bedrohlich inszenierten und auch so aufgenommenen Besuch einer Feldbauarbeiterin durch einen liegengebliebenen Bierkutscher während ihrer Pause) angesichts des angedachten Zielpublikums FSK 6 untergeht.
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Don Kolleone » Mo 27. Dez 2021, 17:10

Frau Stockl hat geschrieben:
Mi 22. Dez 2021, 01:19
Moritz in der Litfaßsäule (1983)
Bin ziemlich sicher, den etwas später auch im West-Fernsehen gesehen zu haben.

Und in diesem Frühjahr mal kurz davor die DVD zu kaufen; mittlerweile ist der Film aber auch bei diversen Strömern abzurufen..
"Krieg ist wie Kino. Vorne flimmerts, hinten sind die besten Plätze." - Arnim Dahl

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Joachim Bauer
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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Joachim Bauer » Mo 27. Dez 2021, 17:19

Ich würde mir eher wieder "Der lange Ritt zur Schule" anschauen; den fand ich ja als Kind urst schau (wie man damals gesagt hat).
Die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind, die sollen dann sich angewöhnen, das Deutsch zu lernen. (Mario Basler, rhetorisch geschulter, ehemaliger Fußballprofi)

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Re: Der deutsche Film - womöglich doch gut?

Beitrag von Frau Stockl » Mi 29. Dez 2021, 21:34

Glück im Hinterhaus (1980)
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Karl Erp is a fairly well-off librarian in his mid-forties with two children and a boring marriage. His love for his intern, Miss Broder, brings him out of his lethargy.
“An diesem Morgen, mit diesem Lächeln, mit dem Versuch, sich ein Bild zu machen, hat es angefangen! Das zu betonen ist wichtig, um Karls Charakter nicht gleich in falsches Licht zu rücken, in Zwielicht oder gar in giftiggrünes des Eigennutzes, um ihn also nicht, mit einem Minuszeichen versehen, in das Buch hineinspazieren zu lassen.“

Machen negative Helden negativ?“ wird später mal gefragt, in Bezug auf die Literatur bezogen, aber sich auch auf den Film auswirkend, in dem die Frage gestellt wird und wo der deutlich ältere Mann in seiner verlorenen, aber auch verlogenen Art und Weise, den Tricksereien bei der Arbeit, dem Auftreten und dem Schuld geben gegenüber seiner eigenen Frau, dem Ignorieren der Kinder und auch der ungefragten, ungebetenen ersten Annäherungsversuchen bei der neuen Kollegin in deren vier Wänden, während eines Krankenscheins nicht automatisch sympathisch wirken muss und alles andere als einnehmend ist. Von oben herab und deutlich übergriffig der erste nicht angekündigte Besuch, ein Tätscheln des Kopfes, ein Anheben des Kinns, im Rausch fast der erste einseitige Kuss. “Warum ertragen Sie mich?“ fragt er später selber, die Antwort erzählt dann eindringlich und eindrucksvoll der Film und so wirklich weiss man die Richtung des Kommenden noch nicht.

Warum sind sie eigentlich in der Partei? Ich meine, warum sie heute drin sind?
Für sie ist die Partei ein asketischer Orden mit Keuschheitsgelübde, was?
Keusch ist dabei eher die junge Frau, 'verkorkste frigide Zicke', wie sie sich selber nach dem ersten schnellen Ausbruch der Leidenschaft und dem noch schnelleren Abebben und Beenden dieser nennt. Sie kann nicht die Geliebte sein, Karl kann sich nicht entscheiden und kann sich nicht einfach trennen. "Buridans Esel", der Titel des zugrundeliegenden Romans zielt bereits darauf an, eine Tragödie des Lebens, in dem es keinem so richtig gut geht und keiner sein Wunschleben lebt. Im Roman wird dies ausführlich dargestellt, im Film geschickt angerissen, als Beispiel verbalisiert und sich auf das Intime einerseits und das Schauspiel nach außen hin andererseits konzentriert. Ein faszinierend zwiespältiges Bild, ein Blick weniger auf die Gesellschaft der DDR als vielmehr dahinter, das Geschehen in den eigenen vier Wänden, wo sich allerdings erstaunlich viele Leute ungefragt einmischen (“Was ist das hier eigentlich? Ein Verhör oder eine Silvesterparty?“), ebenfalls Planwirtschaft herrscht und auch dort im Kleinen ebenso wie im Großen nicht funktioniert. Faszinierende Aufnahmen einer teils marode wirkenden Stadt Berlin, ihrer umso träumerisch scheinenden Umgebung und der Gegebenheiten inklusive.

"Angefangen hat es so: Karl Erp lächelte beim Erwachen und wußte nicht, warum. An einen Traum entsann er sich nicht. Erst später, nicht viel später, aber doch erst danach, fiel ihm Fräulein Broder ein. Sagen wir lieber: Nachträglich schien ihm, daß er an jenem Morgen lächelnd erwacht sei."
~ Hoffnung ist die kleine Schwester der Verzweiflung.

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