Jean-Paul Belmondo

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Frau Stockl
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Sa 20. Mai 2023, 17:32

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Ein Strandabschnitt voller patrouillierender Soldaten, eine Küste abgegangen im Gleichmarsch, die Waffe erhoben, der Blick schon entrückt. “Du und deine SS Kameraden in Europa: Ihr werdet verlieren!“ verkündet ein Poster, militaristisch die ersten Bilder, Grenzen, Zäune, Stacheldraht, die Gegend hat erst später mehr zu bieten als karge stramme Landschaft, erst wenn man weiter ins Land hinein geht und näher zu den Menschen blickt. Einer der Personen ist schon früh am Tag "besoffen wie eine Strandhaubitze", er lebt auch noch in der Vergangenheit gefangen und im früher mal verstrickt. Er ist das Trinken gewohnt.

Albert lebt in der Erinnerung, in einem anderen fernen Land, in einem Abenteuerleben, er erzählt und träumt vom Jangtsekiang, er erhebt bei Störung seiner Märchen seine Stimme, droht mit Aufruhr, mit zerstörerischen Beben. Bald gibt's richtigen Alarm, ein Fliegerangriff, “Dieser Krieg geht mir langsam auf die Nerven.“, Bomben schlagen ein, aus ist's mit den Geschichten vom Jangtsekiang, vorbei mit dem über den Dingen schweben. Rauch wabt über das Land, Feuer, Tod und Katastrophen, der Heimweg führt durch Chaos und Zerstörung, der Mann ist abends immer noch betrunken, er sucht weiter das Heil in der Flucht, er ist weiter laut, im Delir und geifernd; das führt bei seinen Mitmenschen zu Resignation, zur Verzweiflung, zur Empörung.

Wenn du weniger trinken würdest, hättest du Angst wie wir alle.“ - “Wenn ich weniger trinken würde, wäre ich ein anderer Mensch.“
Verneuil, der von seinen einheimischen Kritikern wegen späteren Genrewerken zuweilen als 'amerikanischer' Regisseur bezeichnet wurde, ist hier in der Adaption von Antoine Blondin lokal verbunden, intim erzählend und der landeseigenen Geschichte tätig. Sein Star ist hier nicht Belmondo, sondern Gabin, welcher ähnliche Rollen auf ähnliche Art und Weise erneut spielt (allen voran in Balduin, das Nachtgespenst), wird durch Belmondo (“Leck mich am Arsch mit deinen Sonnentagen.“) allerdings gefördert, gefordert und ergänzt. Die Handlung wird erweitert und verbreitert, es geht um 15 Jahre später, bald um eine Freundschaft zwischen zwei Männern, ein Paar, wie Vater und Sohn, ein Duo, nicht bloß ein einzelner Mensch.

Haben Sie ein Zimmer frei?“ - “Ich habe vierzehn Zimmer frei.“
Der Krieg ist längst vorbei, auch das Saufen, die Rettung damals und jetzt gleichermaßen, Albert hat Konturen gewonnen und echte Emotionen zurück, er lebt ein neues Leben, das Hotel hat einen Gast. Die Inszenierung wird oft, nicht immer präziser, darstellerisch lockerer und ehrlich, es gibt weiterhin einige erzwungen wirkende Szenen (der Dorfklatsch in der abendlichen Kneipe gegenüber, erneute unpassende bzw. unpassend formulierte Rauschzustände), Wiederholungen von Bekannten, ein Verbalisieren von Offensichtlichen, gefangen im Kleinklein, hier in Tigreville, dem 'Kalifornien der Normandie'. Gelungen sind die Kamera, die Bilder, die Gegenstände, Handlungen, Figuren in den Kontext setzen und die Umwelt zeichnen. Es gibt großartige Momente, das Hineinsteigern in den ersten Flamenco, “Ein Matador geht allein. Einen Matador wirft man nicht hinaus.“, es gibt viele lange Einstellungen, die das Vorne ebenso einfangen wie das Dahinter, es gibt Träume und Ehrlichkeit, es gibt den Affen im Winter, es gibt Fässer voll Alkohol. Es gibt menschliche Beziehungen, ihre Sicherheit, ihre Gefährlichkeit, das sich Verlassen können und Wollen auf dem Gegenüber, und das Verlassen Werden, der Wirt hat zu sich selber gefunden und hat auch jemanden an seiner Seite, der Gast ist scheinbar einzeln und alleine noch, er ist unvollständig, er ist angegriffen und teils verletzt und abgestorben, er zeigt dies nicht offen, er macht sich Sorgen.

Das ist mal Märchen, mal Drama und mal Komödie, mal realistisch und mal skurril und mal auch ärgerlich, das ist mal Film und das ist mal Leben. Die Handlung dreht sich um das Rätsel Mensch, um offene und auch um nicht gestellte Fragen, um die Unwägbarkeiten des Schicksals, manchmal auch um Antworten, auch gerne um ein nicht Hören wollen dieser. Die Sucht nach dem Rausch dabei mit als Stärke des Filmes, im nüchtern eine ernsthafte Abhandlung, in der Trunkenheit dann wieder rückfällig zu dem Beginn des Ganzen: lautmalerisch, mißstimmig, mit selbst- und fremd-zerstörerischen Feuerwerk, buchstäblich ohne Sinn und Verstand und reichlich drüber.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » So 21. Mai 2023, 09:17

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Von Valoria-Films präsentiert, Jaques-Eric Strauss in Persona, Philippe Labro als Autor, Adapteur und Regisseur. Mysteriöse Geschehnisse im freien Felde, Habseligkeiten weit verstreut, eine Spurensuche im hohen feuchte Grase, eine Aufräumarbeit, ein Erbe ist ausgerufen, etwas Drastisches passiert. Europa in Aufruhr, den Schlagzeilen nach zumindest, jemand ist verstorben, es rückt einer nach, durchaus in der Öffentlichkeit präsent, "ein Klotzer, ein Kampfhahn, ein Draufgänger", aber bis dato in Amerika weilend und den Franzosen unbekannt und damit gleich suspekt.

Edle Gesten werden hier geboten, erst die Trauerarbeit, die Treffen, die Gespräche, vorher wird sich gründlich über die Gegenseite informiert. Außergewöhnliche Persönlichkeiten, die Spitze des Eisberges, die Schönen und die Reichen, die Obersten Zehntausend. Ein Springen durch die Geschehnisse bis hierhin, bis zum Antreten des Erbes, eine 'Informationssendung' durch die Presse ("Das beschissenste Blatt von Paris." - "Vielen Dank."), die den Zuschauer die Vorereignisse berichtet und die Hintergrundschaltung. "Jedenfalls bringt er genug auf die Waage, um eine Sendung zu machen." - "Und dazu sieht er noch verdammt gut aus."

Gut aussehen tun auch die Frauen hier, der Film insgesamt, hochpreisig das Dekor und Arrangement. Eine Biografie wird geboten, eine Sonderbeilage, eine Detektivarbeit, ein Action-Krimi mit Scharfschützenanschlägen, ein Seelenexposé, eine Prügelei mit dem militärischen Vorgesetzten, ein wüstes Rugbymatch, im Heimflug in der ersten Klasse noch ein Liebesspiel. Nicht von jetzt auf gleich der reichste Mann der Welt, aber "der Mann des Monats" und jetzt immerhin millionenschwer. Die Anzüge (von Cerruti) dunkel und gedeckt, die Kostüme (von Dreyfus & Saint-Laurent) maßgeschneidert, das Auftreten souverän, die Dialogarbeit auf den Punkt, ein gleichzeitig trockenes und in Saft und Kraft stehendes Geschehen, weit verstrickt und tief verzweigt. Die Presse ist anbei, die Politik, die Polizei. Die Perversion. Frauen gehen ein, Frauen gehen aus, sie ziehen sich aus.

"Sind Sie nicht ein bisschen durcheinander? Durch die Zeitverschiebung?"
Labro arbeitet viel mit Zwischenschnitten, mit Voreinstellungen, mit Andeutungen, die erst später oder überhaupt nicht erklärt werden, mit kleinen Details in einer großen Zeichnung, mit Sprüngen vor und zurück, mit Blicken seitwärts, mit alten Geschichten, mit Nachforschungen und Ermittlungen nach vorn. Ein toter Mechaniker, eine angeheuerte Prostituierte, eine Finte beim Zoll, eine Autobombe unter dem ersten Wagen, ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug nach der Beerdigung, zwei brennende Insassen, ein flammendes Konstrukt.

"Ich werde pro Woche einen Skandal aufdecken. Das dürfte in Frankreich heute nicht allzu schwierig sein."
Politisiert wird das Ganze, die Gesellschaft und die Zustände mit in Augenschein genommen, ein 'Nachdenken über das Problem Europa', von einer erhöhten Warte aus und mit dem Blick eines 'Fremden', der die letzten Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und dort die Veränderungen mitbekommen hat. Die Hebel der Macht und das Schalten und Walten sind ihm seit frühester Kindheit und der speziellen Erziehung eingebläut und dargebracht, er ist gewohnt zu bekommen, was er will, und sich dies zur Not zu nehmen; der Star im Mittelpunkt. Der Fixstern im Geschehen. Die Industrie ist ihm egal. Die Meinungsfreiheit ist ihm wichig.

Die Regie hat dabei gut zu tun, es gibt das berufliche, ein gewisses auf den Busch klopfen und Reformieren, es gibt einen Haufen von Hinterleuten, die aus der Gegenwart, dem Neofaschismus, und der Vergangenheit, 'der industriellen Vereinigung der italienisch-deutschen Achse' und den Deportationen katholisch-jüdischer Familien während des Zweiten Weltkriegs kommen, die ihr Spiel treiben, es gibt das Private, eine Mé·nage-à-trois, zwischen dem Playboy, einer gutbezahlten Prostituierten und einer Journalistin, einer jungen alleinerziehenden Mutter, die ihre Leidenschaft (scheinbar) im 'Aufreißen' beliebiger Taxifahrer sucht und findet und vom jungen Millionär aufgrund einer Art Verweigerung meist nur Demütigung bis Ohrfeigen entgegennimmt. "Das Männchenspielchen in seiner ganzen Aufgeblasenheit."
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Mo 22. Mai 2023, 17:29

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Erneut Rauchschwaden über dem Küstenabschnitt, hinten das Meer, vorne die Zerstörung und die noch lodernden Flammen, Krater in der Landschaft, zerbombte Vehikel. Fremde Menschen sind vor Ort, mal Eindringlinge und Besatzer, mal Soldaten, die sich Freiheitskämpfer nennen und meinen und glauben, im Krieg gibt es so etwas wie Gut und Böse und Moral beim Töten. Eine Wagenkolonne fräst sich durch das Land, gefallene Gegner und Kameraden 'schmücken' den Strand. Eine Affe im Winter dort, Die Glorreichen hier, dort als Vorgeschichte, hier als Hauptbestandteil, militärisch aufgeheizt, die Waffen stets im Anschlag, der Tod jederzeit präsent. Ein Hinterhalt häuft die Berge weiterer Leichen auf, die Kugeln schneller als die flüchtenden Menschen, dazu Granatwerfer und andere vernichtende Artillerie, Explosionen zuhauf, ein grausiges Spektakel, die einzige Chance im Fliehen, im Verstecken, im Zickzacklauf.

Es gibt Situationen, da sind mir zwei mittelmäßige französische Soldaten lieber als ein guter deutscher.“
Das Schlachtfeld ist überschaubar und zuweilen uneinsehbar, es ist von allen Seiten umzingelt und umstellt, es ist nicht uneinnehmbar. Das Ziel ist greifbar und es ist direkt vor den Augen: der schnelle Tod oder das große Geld. Die vielen Verluste werden nicht groß beklagt oder betrauert, das eigene Leben und Überleben ist wichtig, und die beauftragte Mission und ihre Erfüllung ist natürlich das oberste Gebot, was selbst im staubigen Blutbad nur zählt. Fünf Leute sind noch über, dann vier, ein Kommandounternehmen war es mal gewesen, bald krabbelt man im Staub zwischen zerrissenen Metall und den Verwesenden.

Na, was hältst du denn jetzt so von der Weltlage?“ - “Sie kann nur besser werden, würd' ich sagen.“
Das Ganze ist von Verneuil dabei mit Wert auch auf Effekt und Aktion und mit lockerem Mundwerk gestaltet, es gibt die aufflammenden Detonationen, es gibt die lockeren bis zynischen Sprüche, Bebel sprintet wie ein Hase über das Kriegsfeld. Gegenangriffe bei Nacht (“Es sind zwei. Was mich ankotzt ist ihre Missachtung. Die unterschätzen uns doch.“) lassen keine Atempause aufkommen, dazu wird eine Haubitze mit List und Tücke zurückerobert, Krieg hier abenteuerlich und abenteuerlustig, den 'Supersoldaten' von der SS wird der Mores gelehrt und heimgeleuchtet, das ist beige und sandfarben statt grün und Tarnfleck, das ist trotzdem Brian G. Hutton, das ist Agenten sterben einsam und vor allem Stoßtrupp Gold. (Entsprechende Remake-Vorwürfe konnten allerdings mit einer eigenen literarischen Vorlage, Pierre Siniacs gleichnamiger Roman von 1968 abgewendet werden.)

Bald herrscht eine Meuterei in der übriggebliebenen Truppe, Fahnenflucht, Verschwörung im Beisein des Feindes, Widerstand gegen seinen Vorgesetzten und Bankraub; einmal Legionär und bloß für den Sold und die geschenkte Freiheit tätig, immer Legionär, ein wüster Haufen, mit eigenen moralischen Verständnissen, Uniform und Rangabzeichen sind schnell egal, Befehle gibt jetzt der mit der Hand an dem Gewehr. Es fallen Wortgefechte und Flüche, es fliegen die Fäuste, Landsmänner im Feindesland prügeln sich, vom Kriegsspektakel zum Gaunerstück, vom Wahnsinn zum Irrsinn, für eine Komödie zu grob, für eine Groteske zu harmlos und für eine Satire zu wenig Biss und Grips.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Do 25. Mai 2023, 13:19

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Mit der Ankunft eines Zuges kommt der Mann ins Bild, Cournai ist der Bahnhof, zehn Minuten Aufenthalt, der Mann steigt aus, ist hier am Ende einer Reise und am Anfang vom Ende sowieso, der Blick müde, die Stirn gerunzelt, das Gesicht skeptisch, auf Probleme eingestellt. Der Mann ist bekannt in der Gegend, von früher, ein “verdammter Mörder! Abschaum! Saukerl! Saukerl! Saukerl! Schweinehund!“, man hat ihn ebenso wenig vergessen wie er vergessen hat, die Geschichte hat hier erst begonnen, ist aber schon längst angefangen und gleichzeitig auserzählt. Ein Aufenthalt nicht wünschenswert, und auch nicht gewünscht.

Ob das Arschloch wohl bei meinem Prozess war?
Die Reise ist eine Rückkehr, sieben Jahre sind vergangen, die Gegend ist gleich geblieben und hat sich doch verändert, der Mann war die letzte Zeit weg, stattlich in einem gedrungenen dunklen Raum eingesperrt, in der Justizvollzugsanstalt gefangen. Vor und zurück wird hier geblickt, ein Thriller, ein Krimi, ein Psychogramm, die Romanadaption von Félicien Marceau; Marceau hat sich auch hierbei engagiert, er ist zusammen mit Verneuil und Michel Audiard beim Schreiben des Drehbuchs und somit als 'Überwacher' des Übertragens von einem Medium in das andere (und dies deutlich hervorstechend in der Art und Weise der Narration) aufgezählt. Die Handlung wird gezeigt, das Gesagte gesprochen, die Gedanken dahinter still für sich angedeutet, längere Wegstrecken von der Kamera, längere eingespeiste Texte von der Hauptperson dargeboten, eine Kongruenz oftmals nicht vorhanden, widersprüchliches offen gelegt, die Konflikte daraus resultierend visualisiert. Was ist geschehen, was ist wie warum passiert.

Doppelt so viele Arschlöcher, entsetzliche Vorstellung.
Es geht hier nicht bloß um die Veränderung des Mannes, sondern vor allem auch um die seiner Umwelt, der Gesellschaft allgemein, der Zivilbevölkerung, die von wenigen beeinflusst und gesteuert wird, von wenigem befeuert, von oben gelenkt und manipuliert, aber auch am unteren Ende oftmals nur den eigenen Vorteil, den eigenen Kommerz, den eigenen Gewinn kalkuliert. Früher war das genauso, vorher war nicht alles besser, “Damals glaub ich hat mein Hass begonnen.“, Erinnerungen an die Kindheit, die geprägt hat, an die Jahre dazwischen. Zwischendurch wird Sex als Waffe eingesetzt, Verführung und Geschlechtsverkehr als Rache, eine Bettgeschichte als mögliche Option, als Einstieg ins Textilgeschäft. Der Film geht von der Breite in die Tiefe, in die Erschließung, in die Ursächlichkeit des Ganzen, raus aus der nackten Bebilderung, rein scheinbar in die Gefühle.

"Die Königin Mutter tritt auf." - "Welche denn? Der Blumentopf oder die Federmiezi?"
Für einen Moment erinnert der Film an Das Unverbesserliche, bloß in ruhig, ernst und konsequent; Belmondo sitzt am Tisch der Schönen und der Reichen wie das personifizierte Falschgeld, nur verkleidet wirkend und wie zur Tarnung, zumal das Etablissement hier affektiert gezeichnet wird und mit der Nase hoch oben in die Luft bestückt. Eine trotz Beschäftigung gelangweilte Schickeria, mit Ausritt, mit Golf, mit dem Liegen am Pool zu tun, von dem 'Francoise der Teestunde' angeheitert und entzückt. Das wird ein bisschen ausufernd und konstruiert, Treffen hier und Treffen da, Politik, Polizei, Presse, Partei, Prostitution; es gibt den Versuch einer Bestechung, es gibt einen blutigen Kopfstoß, es springt wieder zur Chronologie, es geht wieder voran statt in die Vergangenheit zurück. Es wird mondäner, es wird schmutziger, es geht wieder in das Sexuelle bis nun Obszöne, es geht in den Schmutz der Stadt, die ihr wahres Gesicht dann zeigt, im Dunkel der Nacht zumindest, nach außen hin wird weiter Theater gespielt.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Do 1. Jun 2023, 07:10

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"Hatter's ja wieder geschafft, das dumme Schwein!"
Produzent Christian Fechner hier wieder als treibende Kraft, Initiator einer 'Selbstbeweihräucherung', einer Hommage, wo die Kunst das Leben spiegelt und umgekehrt. Der Schein spiegelt das Sein und umgekehrt, die ganze Welt ist eine Bühne, ein Star auf der Suche nach sich selber, inmitten der Siebziger, die Veränderungen brachten und viel Ausprobieren. Filme im Filme werden hier geboten, ein Bkick hinter die Kulissen, "Du bist hier nicht der Star, du bist nur ein Double, nicht wahr? Deswegen will ich deine Fresse hier nicht sehen." Die Leute hinter der Fassade, die schlichten Arbeiter, die schlecht bezahlten und schlecht behandelten Fußabtreter, Hunderte gibt's bei jeder Produktion davon, vorne auf dem Titel steht nur der Mann, wegen dem alle Arbeit haben und wegen dem auch alle ins Kino gehen:

Beruf wie Privat wird hier beachtet, eine Hochzeit steht an, eine Liebe in Hektik, viele Befehle und Anordnungen von oben, 'Die große Sehnsucht' und "Das private Bettgeflüster' wird gedreht. Belmondo als Mann mit vielen Gesichter und trotzdem immer eigener Persona, ein Stunt hier und ein Wortduell da. Das Pärchen ist immer auf Achse und immer in Aktion, mit Lärm und Krawall fängt der Film an, Tempo und Klamauk sind hier groß. Die Hochzeit platzt, die Flüche nehmen Vorrang, aus Liebe wird Hass, manche Sprüche alles andere als politisch korrekt, "ein Charme wie Stacheldraht", eine flotte Szene nach der anderen, großspurig, viel Lug und Trug, ein Leben von jetzt auf gleich und ohne Sicherheit und anderen Ballast, die Nichtigkeit des Ganzen ist famos. Zechen werden geprellt und Kulissen zerstört, bald macht man den Affen im Kaufhaus, ähnlich qualitätsvoll ist auch der Rest der Handlung, ist der gesamte Film.

"Ich hoffe, du bist dir klar darüber, dass ich dein Auftreten hier ziemlich geschmacklos finde."
Irgendwann wird gebechert, um dem Elend zu entgehen, der französische Kintopp scheint am Ende, die eigene Karriere ausgelagert, eine Doppelrolle eingebunden, die Prämisse neu aufgezogen. Plötzlich wird man behandelt wie ein 'ugandischer General', Szenen werden als Running Gag mit Variation meist aufgezogen, viel unter falschen Voraussetzungen, "ich wollte noch den zweiten Teil der Vorstellung sehen.", ein Hansdampf in allen Gassen, ein Springteufel, ein Aufziehmännchen, das einnert an Der Unverbesserliche, das ist Gewöhnungssache, das kann man mögen oder auch als zu viel und unpassend (es gibt abermals einen Vergewaltigungsjoke:"Wenn ich nicht den kaputten Flunken hätte, dann wäre ich jetzt rübergejumpt und hätte sie vergewaltigt, wie damals, in Carprentas." - "Was ist das für eine Story mit Carpentras? Hast du schon mal von erzählt." - "Das ist mein kleines Geheimnis. Da hab ich Jane nämlich kennengelernt. Sie wohnte im Lion d'Or. Allerdings direkt unterm Dach. Ich also wie ein Affe die Fassade hoch..." - "Und hast sie vergewaltigt?" - "Dreimal! Nur, dass ich mich die ersten beiden Male im Zimmer geirrt hab.") empfinden; tatsächlich sind die Szenen am Set - der Aufwand, der Tatendrang, die Andeutungen von Big Budget, 'Hollywood nachempfunden' - spielerisch die Besten, zudem gibt es eine völlig verrückte Einlage mit einem Tiger, wobei es dort kurz ausschaut, als wird der Darsteller einfach aufgefressen.

Was leider überhaupt nicht interessiert, später aber wieder hinzukommt, ist die Paarung mit der (natürlich attraktiven) Welch, die Liebesgeschichte quasi, die allerdings behauptet bleibt und keinerlei Funken sprühen lässt, die keine wahre Liebe bietet, sondern vielleicht als laute 'romantische' Komödie funktioniert. Welch tanzt später auf allen Hochzeiten, aus einer Romanze wird ein Rollenspiel, geht es in die "Bumsstube", zum Stelldichein, zum homophoben Versteckspiel, zur Verirrung der Gefühle. Eine Eskapade wie im Zoo, bisschen bunt, ein paar Schauwerte, einige Tricks.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Do 8. Jun 2023, 12:43

Frau Stockl hat geschrieben:
Do 2. Mär 2023, 19:28
Cannon ist super hier und teilweise auch höchst attraktiv.
Ich hab die Cannon mit Nicole Calfan verwechselt.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Sa 19. Aug 2023, 12:43

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Erst Kriegstreiben in der Wildnis, später Gewaltszenario in der Großstadt, der Profi als Wanderer zwischen den Welten, als Beherrscher der Lage, der Film einer der bekanntesten Titel von Belmondo, der hier tatsächlich ernst und dies vergleichsweise selten in seiner Filmografie macht. Schnell im Fokus, rasch im Visier, es wird scharf geschossen, ein strikter Gang durch das Jagdrevier.

"Nun geht's wieder besser, Monsieur Beaumont? Wunderbar. Nun ist er wieder der Alte. Nun machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben."
Der Anfang scheint bereits das Ende zu sein, der Mann am Abgrund, triefend vor Hitze, im Gewahrsam anderer, unter Drogen berauscht und geschwächt, angeklagt eines politischen Anschlags, eines versuchten Attentats auf einen Präsidenten auf Lebenszeit, in einem Fantasiestaat namens Malagawi, in einer Bananenrepublik.

Die Farce eines Gerichtsverfahrens, ein Schmierenprozess, die Folge das Hausen in einem vollgestopft gedrängten Gefängnisses, draußen auf der Tagesarbeit gibt es frische Luft, aber als das Placken und Plagen in einem Steinwerk; hineingeritten in das Dilemma, den sicheren Tod auf Zeit, verlassen von der Gesellschaft, hineingeraten in die Machenschaften zwischen Frankreich und seinem Kolonialismus, dem Anspruch auf Weltmacht und Umtriebigkeit.

"Sterbe ich?" - "Ja. Hast Du Angst?" - "Nein. Warum fragst Du?" - "Nun, ich würde Angst haben."
Der Anfang wird auch wie das Ende erzählt, ausdauernd, keine Chance auf Besserung, Wochen und Monate des Eingesperrtseins und der Qual, unterspielt vom gediegenen, nach Verlust und Isolation und Einsamkeit klagenden Leitthema, Schläge folgen auf Schläge, plötzlich fließt Blut und steckt die Spitzhacke rücklings im Leib. Die Flucht ist der Anfang, das sich Wehren, der Kampf gegen eine fremde Armee, dann gegen den eigenen Staat, der ihn verkauft und verraten hat, ausgeliefert und verschenkt. Von einer Hölle in die andere, von Afrika nach Frankreich, nach Paris, das nur besser aussieht, modern gehalten, mit Luxusapartments ausstaffiert und sich kultivierter gibt.

"Um mehr darüber zu erfahren, müssen wir den Computer damit füttern."
Gefüttert wird die Handlung mit Politik, mit Korruption, mit verzwickten Beziehungen ("Das ist gar nicht so einfach zu erklären."), mit einem Einzelgänger gegen den Rest der Welt. Belmondo ist schon früher in seinen Filmen wieder zurückgekehrt an Orte der Vergangenheit, um dort aufzuräumen und 'klar Schiff zu machen', in Der Erbe, in Der Körper meines Feindes, hier geht das ebenso unerbittlich vor und voran, körperlich ist man gepumpt und gestählt, hier gibt es sogar eine vorherige Warnung ("Dann geht's rumms, und der Nigger ist weg."), er gibt den Gegenüber eine erste schlaflose Nacht ("Nach dieser brillanten Darlegung möchte ich Ihnen eines sagen, meine Herren: Wenn der gute Neger weg, Geheimdienst auch weg. Dann machts rumms und wir fliegen alle in die Luft."), eine vorbereitende Zeit.

"Dieser Beaumont kommt nicht. Ihr werdet die ganze Nacht umsonst herumhängen. Wenn Du auf der Flucht wärst, würdest du zu deiner Frau gehen?" - "Ich bin doch nicht blöd. Ich würde zu Deiner gehen."
Das hat viele Charakterköpfe vereint, das übliche Belmondo-Ensemble, das hat einige stechende Dialoge, das hat sein Konfliktpotential und wird auch so behandelt und gedreht, es geht um Liebe und um Provokation, mal ist man Spielball, dann ist man Macher, mal Flüchtiger, mal Verfolger (in einer wilden Autohatz). Mal ist das intim, mal ist das Agententhriller (mit weißen Hemden und dreckigen Fingern) und weltmännisch, mal ist das Exploitation und provokativ, das hat Klasse, aber wenig Charme, das ist reichlich auf reaktionären Krawall gebürstet, es gibt Besuch vom "Schnauzenpolierer", das ist grob und effektiv.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Mo 2. Okt 2023, 01:14

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Ich wollte nicht, dass der Film nach Cannes geht. Ich wurde vom Gegenteil überzeugt. Ein Massaker! Resnais hatte fünf Jahre lang nicht gefilmt und es war das einzige Mal, dass er in die Scheiße hineingezogen wurde. (...) Kritiker haben mich nie wach gehalten, außer bei Stavisky. Es gab so einen Ausbruch. Da sagte ich: „Das sind wirklich Idioten!
~ Jean-Paul Belmondo

Keine historisch korrekte Darstellung der Ereignisse, aber so ähnlich geschehen, mit Fantasie verzogen und verschnörkelt, nicht gänzlich fern der Realität. Sein und Schein, Kunst und Können, eine gespaltene Persönlichkeit, ein Starvehikel für Belmondo, eines von in der Zeit vielen. Öfters etwas neben der Spur hat man Mitte der Siebziger gelegen, ist man etwas andere Wege gegangen, verschiedene Töne wurden angeschlagen, ein Ausprobieren im Wirken, noch Kassenstar, mit den besten Regisseuren wie hier Alain Resnais versehen.

Zeitlich geht man wieder einen Schritt zurück, eine Epoche älter, mal wird die Französische Revolution bzw. deren Nachwirkungen in Augenschein genommen, hier sind es die Dreißiger, eine Geschichtsstunde, eher zwei davon, ein bisschen zäh in der Erzählung, eher ruhig als belebend. Ein Weg ins Exil wird beschritten, eine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich ausgestellt, im ganz kleinen Rahmen, verschämt und vor der Aufmerksamkeit versteckt, ein Blatt der Geschichte ist gewendet. Politik wird gemacht, erwähnt und zur Diskussion bereitgestellt oder zumindest als Rahmen angespielt, die Polizei ebenso, eine Korruption angedeutet, Geschehnisse, die erst nichts miteinander zu tun haben scheinen, kleine Details im großen Bild, ein 'Spiel auf zwei Klavieren'. "Ich will jede Einzelheit erfahren. Ich beschlagnahme Sie für den ganzen Tag." Erst ein Smalltalk, dann Polemik, dann geschäftliche Gespräche, dies alles in edlen Bauten, größere Anlagen mit Hochtreppen, mit Fahrstühlen und Schwingtüren. Zeitgeschichte und Träume, Zeitungsnachrichten und wiedergegebene Erzählungen, Faktoren von außen und von innen, dazu die Streicher auf der Tonspur, die vielen Prozessionen, die antiken Karosserien, die blank geputzten Limousinen. Luxus, Tanz und Flitter ist das eingangs hier, ein 'lebensvolles Bild mit trüben Aspekten'.

Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür, die Nazis sind gerade an die Macht gekommen, das bemerkt man hier noch nicht, das ahnt man nur, Namen wie Mussolini werden in den Raum gestellt, Spanien ist auch um die Ecke, Deutschland ist nicht weit entfernt. "Hätte ich es Sascha sagen sollen? Gar nichts zu sagen, ist immer eine Art Verrat." Andeutungen werden geboten, ein Vergessen wird angestrebt, das Leben von früher soll ebenso abgestreift werden wie hier und heute, im florierenden Jetzt, im Prunk und im Luxus, als respektabler Mann mit vielen Möglichkeiten und rosiger Zukunft gelebt. Es gibt Rückblenden einer Verhaftung, wegen Geldangelegenheiten bzw. dem Nichterfüllen dieser, die Kasse kleiner und die Wünsche größer. Das Drehbuch als Dossier, als Akte, als Biografie, als Bericht eines Psychologen, als Sittenbild, als zusätzlicher Kommentar der Titelfigur, des Hauptdarstellers. Dabei wird nicht nur Film, sondern auch Theater gespielt, es wird imaginiert, mit Vorstellungskraft gearbeitet, mit Verfolgungswahn und Größenwahn, durch die verschiedenen Stadien gewandert, tief gestapelt und hochgestapelt, meist im Dialog vorgetragen und instruiert. Geld wandert in die Taschen, wird fleißig verteilt, wird mit vollen Händen verteilt, ist auch auf der Leinwand zu sehen, wird investiert.

Belmondo, die treibende Kraft hinter dem Projekt, spielt hier eine Figur und wieder mal sich selber, spielt auf Alles oder Nichts, spielt zwischendurch die Rolle eines Geistes, auf einer Bühne, die Kulisse winterlich, "Sie sind Jüdin, gut, aber warum müssen Sie es allen ins Gesicht sagen?" - "Weil es wahr ist." - "Eine sehr einfache, und sehr dumme Antwort." Das erste Treffen mit einer noch speziellen Frau, die erste Begegnung von vielen, das Drama eines Menschen ohne Rast und ohne Ruhe, er will nicht vergessen werden. "Eine trübe Familiengeschichte", ein Werdegang, "Sie wissen nichts von mir.", über einen Menschen, dessen Tod damals die Welt in Aufruhr gesetzt hat, heute aber so gut wie niemand kennt. Belmondo trägt hier (wie in der quasi modernen, besser funktionierenden Variante Der Erbe) viele, nicht alle Szenen, manche sind mit absichtlich theatralisch, die Freude am Paradoxen, der Tragödie, der Kritik, dort liegt auch eher die Wirkung. Die Dekoration ist reich, die Gefühle selten greif- und spürbar, der Bezug zur Ehefrau, parallel die Belange um Trotzki, die wie aus einem anderen Film wirken, der Drang nicht nach Frieden und Ruhe, sondern in die Öffentlichkeit, nach Hochfinanz und Politik. Wo man sich gerade befindet, wird durch Stadt-, Tür- und Hausschilder gezeigt, es geht viel herum in der Welt, Stavisky hat eine Entourage, die mit ihm, aber nicht zu ihm, nebenher und anschließend aber über ihn spricht. "Ich möchte den Zeugen daran erinnern, dass er nunmehr zur Sache kommen muss.": Ein früher Auftritt von Gérard Depardieu, eine halbe Minute vielleicht, kurz vor Die Ausgebufften, reißt den Zuschauer kurz aus der Geschichte raus, sattsehen tut man sich an den Naturaufnahmen, die einfachen Freuden des Lebens, ansonsten die Bewegungen steif, der Mund trocken vom vielen Reden.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Sa 21. Okt 2023, 00:12

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In edler, verschnörkelter Schrift der Text gehalten, der Abenteuerfilm musikalisch schon angeklungen und insgesamt prognostiziert. Die Straßen voll, das Gewusel bunt, reich und arm in der Vielfalt, Platz und Gelegenheit für einen Taschendieb, ein "Schmutzfink", das Volk jubelt und trubelt, auf zwei Menschen unterschiedlichen Standes wird sich rasch konzentriert. Der Bandit von ganz unten, und die Frau eines Anderen, der Ärger ist schnell da, die Prämisse wie folgend.

Reich an Kostüm und Statisterie, ein Schauplatz dicht an dicht, ein Spektakel soll geboten werden, zwei Blicke treffen sich. Im Fundus des Mantel-und-Degenfilms wird hier gewuchert, nicht geplündert, weist man eigene Ideen auf, Bébel arbeitet nicht allein und nicht für sich, sondern für eine Bande, ein Führer mit Anzug und Perück'. Komödiantisch kann man sein, schnell umspringen in den Ernst ist möglich, die Zeiten rau, die Standesunterschiede deutlich, eingangs schon wird jemand zur Abschreckung und als Strafe schon vor aller Augen schwer gefoltert. Bald gibt's Aufruhr und gibts Flucht, meist erst gehandelt und dann gedacht, sind die Füße und Fäuste schneller als die Gedanken, wird gar in den Krieg gestolpert.

"Wir sollten uns doch lieber ein sicheres Plätzchen suchen."
Das Schlachtfeld hier als Platz für Klamauk und Groteske, man hat nur als Hasenfuß und gleichzeitig als scheinbarer Held überlebt, man hat selber nicht geschossen, man ist aber auch nicht wie alle anderen gestorben. Der Anfang des vor-revolutionären Soldatenlebens hier ist wie das Ende vom nach-revolutionären Ein Musketier mit Hieb und Stich, eine Pferdekutsche, ein Heuschober, die Uniformen gleichen sich, ein Gefecht aus der Lameng heraus, das Überleben ist schlicht Glück. Kritik an den Zuständen hier mit dem Holzhammer, mit dem Haudraufhumor, das ist wie dort, das inszeniert und schreibt und unterhält sich ähnlich, das malt die Geschichte mit knalligen Farben und dem dicken Pinselstrich.

Cartouche, der sich in diesem Jahr des Abenteuerfilmes neben bspw. Henri Decoins Die eiserne Maske, Jean Drévilles Der junge General, Bernard Borderies Der scharlachrote Musketier oder André Hunebelles Der Graf mit der eisernen Faust behaupten musste, macht dies mit viel Aufwand und Humor, als "Komiker der Neuen Welle“, die Obrigkeit wird stets Opfer von viel Schabernack, es gibt Finten und Tricks, jede Gelegenheit im Film und vom Film wird beim Schopfe genutzt, der Adel zum Gespött gemacht. Für Belmondo ist das eine frühe Paraderolle, da wird erstmals die Körperlichkeit und die Finesse ausgespielt, da wird den Frauen schöne Augen und flotte Sprüche gemacht, da wird der Säbel krumm gefechtet, da geht's irgendwie jeder gegen jeden.

Von der Gaunerbande raus und rein in die Legion, dann in die Wirtshausprügelei, dann in den Kerker, das Geschehen ist reich, die Bilder von Architektur, von Natur, von Cardinale sind sonnendurchflutet und sind schöner. Zeitliche und örtliche Orientierung ist dabei nicht so wichtig, mal wird nach links geritten, dann nach rechts, es geht voran zumindest, und dann wieder zurück. Eine wahre Menagerie, ein volles anarchistisches Entertainment, ein eher widerspenstiger Held (das gewaltsame Eindringen in das Frauenkloster), viele Treffen sind eher zufällig, die Dramaturgie springt und hüpft, sie durchbricht die Tür, sie stürzt durchs Fenster. Die Nebenfiguren sind recht uninteressant, ihre Belange ähnlich, "Es wird langweilig", ein Leben in Saus und Braus, "Die ganze Stadt gehört mir.", ohne wirkliche Dringlichkeit, Belmondo spricht im Deutschen (aufgrund verschiedener Schnittfassungen) mit zwei Stimmen. Ein wenig Ansätze zum Nachdenken und fürs Leben gibt es, die ehrliche Arbeit wird infrage gestellt bzw. nicht einmal in Erwägung gezogen und für dumm erklärt, die Religion, die Monogamie auch, Glück ist hier nur für den Moment und nie fürs ganze Leben, ein ausgeprägter Egoismus, das hat seine flotten Aktionszenen, das wird trotzdem ein böses Ende nehmen.
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Frau Stockl
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Sa 2. Dez 2023, 17:10

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In der Gaumont Distribution, von Rappeneau adaptiert, umgewandelt in schriftlicher Form und inszeniert, mit schneeweißer Pracht eröffnet, und von klassischen Tönen eingespielt. Eine Wanderung durch den Schnee, durch die Kindheit, die Jugend, von Anbeginn der Geschichte an, ein fröhliches, freies, noch unbeschwertes Treiben, viel Spielereien, stets in gemeinschaftlicher Arbeit. Eingangs erinnert man an ein Märchen, es wird ein Kostümfilm, ein Abenteuer, der Anfang wie ein Traum, Musketier mit Hieb und Stich. Frankreich wird verlassen, die Jahreszeiten geändert, ein großer Sprung nach vorn gemacht, auch in der Karriere, vom mittellosen, ausgestoßenen Häftling und Flüchtling zum umjubelten Verwöhnten, vom Kind zum Mann, die Geschichte fängt jetzt an:

Teilweise ungewohnte Bilder werden hier geboten, Aufnahmen aus Süd Carolina, Plantagenbilder, Massenszenen, Englisch auf der Tonspur, eine Erzählerstimme mit sonoren Membran. Es wird gejubelt und getrudelt und getrubelt, es wird geprügelt, die Revolution ist bereits eingetreten, es geht viel vor, von der Alten Welt in die Neue, dann wieder zurück. Belmondo dabei weniger als Getriebener denn als Spielball, als Mitläufer des eigenen Lebens, von Anderen so entschieden wirkend und von Außenstehenden bestimmt. "Rückkehr ins Vaterland und zur Geliebten Ehefrau", bisherige Regeln wurden aufgehoben, Gesetze wurden neu geschrieben, dafür ist man nun im Krieg. Ein Historienfilm, mit im Wasser treibenden Leichen (Referenzen an die Ertrinkungen von Nantes 1793/94), mal wird man geliebt, mal wird man verflucht. Insgesamt herrscht Aufruhr im Lande, im Film wie beim Dreh die Geschehnisse wie Fähnchen im Wind, die Schauspielführung mit breiten wedelnden Armen, "ewig Krach und Streiterei", viel wird geredet, viel vom unsichtbaren Blatt abgelesen, viel berichtet, die Handlung verbal und formal vorangebracht, den Erzähler gibt's dafür nimmer.

Mehrere wechselnde Methoden einer Regie, mal wie Theater, dann mit weitläufigen Panoramen und wahrlich aufwändigen Bildern, mit Winter, Sommer, Herbst, mit schmalen Behausungen, mit edlen Bauten, mit Sang und Klang, mit Missverständnisse und Missgeschick. Ein Drunter und ein Drüber, ein Motiv ist da, eine Dramaturgie existiert hier bei Rappeneau (welcher später noch bspw. Cyrano von Bergerac, 1990, und Der Husar auf dem Dach, 1995 drehen sollte) noch nicht. Das ist mal albern, mal pompös, gerne zur gleichen Zeit auch, abwechselnd so wie die Stunde schlägt. Aus einer Prozession wird ein Attentat, ein Schmierenprozess folgt, "Ihr seid ja alle vollkommen verrückt." Satire wird hier großgeschrieben, Groteske, Drama aber auch, mit Klamauk selbst mittendrin, ein Gewusel allerorten, ein Possenspiel. In (auch) Rumänien gedrehte, oftmals prächtige Landschaften wechseln sich rapide ab, Zugehörigkeiten auch, Kooperationen alle naselang, mäandernde Interaktionen; die Republik ist noch im Werden, die Republik ist noch jung.

Ein eher künstlerischer Ansatz wird hier geboten, eine spezielle Form der Herangehensweise, andere Figuren treten auf und drängen sich nach vorn. Es wird gefeiert beim Volk und im Dorf, es gibt eine Art Ball, eine Polonaise, natürlich die alte und die neue Liebe, beides ordentlich mit Temperament und auch mit viel Dialog dann voll. Klassenstände werden hier beobachtet, aus einem neutralen Zustand, auch von dem Zurückgekehrten ("Er ist in Amerika umgekommen. Indianer haben ihn aufgefressen."), die Unterschiede zwischen Mann und Frau, zwischen Volk und Adel, zwischen Arm und Reich, zwischen Gott und zwischen König. Viele vorgetäuschte Ohnmachtsanfälle und Backpfeifen später wird von der ersten Frau und der zweiten Frau zu einer dritten Frau gekommen, Das Brautpaar des Jahres II (DDR-Verleihtitel), eine laute anarchistische Kostümkomödie ("Was sind das bloß für Kindereien?!"), in der die Gefühle überschwänglich sind, die Bewegungen exaltiert und jedes Handeln eine Nummer drüber. Die einheimischen Zuschauer haben es gemocht und goutiert, #8 in der Jahresliste: Belmondo als Hansdampf mit Fechtszenen und mit einigen brenzligen und einigen Höhen- und Sturzstunts, mit Kampf- und Gefechtsszenen, als Der Teufelskerl (bundesdeutscher Fernsehtitel), die Reise in eine ferne Zeit, in die Vergangenheit, das bunte fantasievolle Spektakel, dass trotz einiger Bezüge weit weg ist von Mai '68.
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