Jean-Paul Belmondo

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Frau Stockl
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Fr 24. Feb 2023, 09:31

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Ein Thriller zu viel“ bezeichnete Belmondo den Film, angesichts des schlechten Abschneidens an den heimischen Kinokassen, keine Million Zuschauer hat man mehr angelockt, die Zeiten sind geändert, der Wind hat sich gedreht. (In der allgemein amerikanischen Dominanz des Jahres haben es sowieso nur sehr wenige lokale Produktionen in den Millionenclub geschafft, Claude Zidis Der unwiderstehliche Charme des Geldes etwa, oder Josiane Balaskos Die Strich-Academy.) Im Film selbst sieht das etwas anders aus, die Straßen sind rau, die Kollegen jung und unerfahren, man braucht Le Solitaire. Streifendienst steht an, Routine und gleichzeitig die Ruhe vor dem Sturm, ein brodelndes Nachtleben, Sex, Gewalt und Drogen. Die Kündigungen sind geschrieben, raus aus dem Hexenkessel, in die Karibik soll es gehen. “Werdet Ihr's nicht doch vermissen?“ Die Antwort bleibt offen, es geht vor Ort noch in die tödliche Bredouille, nicht in die Südsee, nicht auf die Antillen.

Deray hat den Film gedreht, den Straßen- und Hinterhofkrieg, ein toter Polizist ist nur der Anfang, ein leblos blutender Freund und Partner, der letzte Champagner ging aufs Hause, nun durchlöchert wie ein Sieb. “Tja, ein Bulle darf nicht lange Trauer tragen.“ Zwei Jahre sind vergangen, der Täter weiter flüchtig, der Mord noch ungesühnt. Rache ist hier ausdauernd und trotzdem unverblümt. Die Gangart bleibt auch unaufhaltsam, zwischendurch wird sich auf den Verbrecher, dessen Ausschalten von Mitwissern mit großem Einschusslöchern, einem bleihaltigen Überfall auf einen Geldtransporter konzentriert, es wird ein bisschen auf Verdacht verhaftet und die Mitläufer und Spitzbuben schikaniert.

Zwei Jahre sind eine lange Zeit, so richtig Druck und Tempo hat die Geschichte nicht, es gibt auch noch einen Patensohn, die Trauer und die Wut hält sich tatsächlich unter Kontrolle und in Grenzen. Es gibt ein paar Gerüchte und einige Hebel, es wird ein wenig auf den Busch geklopft und die Unterwelt durchkämmt. Fragen über Fragen, Seilschaften noch und nöcher, ein wenig Polizeifilm, ein wenig Drama, etwas Thriller, kein richtiges Skript, nur viele lose Fäden. Ein “Kaffeekränzchen“, mal wird das Gesetz gebogen, dann gebrochen. Es gibt viele nebensächliche Frauenbekanntschaften, die zwischendurch die Action ersetzt, die Nemesis ist phasenweise nur ein Phantom, laufend erwähnt, aber kaum präsent. Ein trockenes Gehabe, ein kühler Ton, eine Schießerei am Güterbahnhof, die schneller vorbei ist, als sie angefangen hat, es regnet etwas Blei im Hotel und auf den Straßen, Belmondo schaut oft nur zu und spielt sich auch nur bloß.
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Frau Stockl
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Sa 25. Feb 2023, 08:32

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Zwei Leidenschaften hat der graumelierte Mann mit den tiefen Furchen im Gesicht, seine Ehefrau, der er die Treue hoch und heilig versprochen hat, und sein Motorboot, ein schneller Flitzer, mit dem er gleich mehrfach (vorwärts, rückwärts und in Zeitlupe montiert) einen Strandpavillon durchbricht und zu Kleinholz manövriert. Seine Ehe kann er bald dazulegen, kleine Abenteuer noch und nöcher stapeln sich neben Ausreden und Herausreden und Lügen, der Mann lässt es auch anderweitig krachen, tut alle naselang seine wartende Frau betrügen.

Ich hab viel Sinn für Humor, aber das find ich geschmacklos.
Man protzt mit Status und Symbol, der Mann hat deutlich Geld, er ist im Leben gut vorangekommen, er ist auch körperlich noch gut erhalten, auch wenn er schon über 50 Lenze zählt. Ein Kind von der Art her noch, ein wenig einfallslos und verantwortungslos, von der ablaufenden Zeit gehetzt, nicht glücklich mit dem Erreichten, nicht ruhend, nicht selbstzufrieden, eine peinliche Situation nach der anderen, bevor die eigentliche Handlung losgeht. Rennmaschinen, Postkartenbilder, nackte Tatsachen, dazu einige kleinere Stunts, eine schöne leere Hülle, bis zum Castingcoup um die Marceau.

Und der nächste Mann, den ich kennenlerne, wird für dich büßen müssen.
Was die junge Frau an dem alten Filou aus der Generation vor ihr findet, ist da noch nicht ganz deutlich und klar, eine Notsituation wird angedeutet, aber nicht beschrieben; zumal sie eher ihn ausführt, aber nicht auf den Kopf gefallen ist, und den Zweck der Lage spürt und agiert. Es wird ein Vorspiel geboten, dass keinen Charme und keinen Reiz hat, Lacher auf Kosten anderer, einige Angebereien, letztlich ist er selbst überrascht, dass sie die Sprache auf eine gemeinsame Übernachtung bringt.

Das Versteckspiel beginnt schon bei der Ankunft, es zieht sich fort und wird durchgängig. Die Produktion hat deutlich Stars und Geld, “Warum sind Sie so verkrampft?“, Frohe Ostern (1983) hatte Pfitzmann und eine Theaterbühne, Besonderes Kennzeichen: Bellissimo ((1982) tatsächlich so etwas wie Esprit und Chemie, und einen normalen Umgang zwischen 'Vater' und 'Tochter', was hier im bemühten Slapstick untergeht (Belmondo wirkt so potent wie Tim Allen, und spielt auch so, und die Gags sind auch auf dem Niveau.) Etwas besser wird es, als der Mann, ein 'Knallerbsentarzan', ein 'Filzpantoffelheld', tatsächlich unter Erklärungsnot und Zugzwang gerät, die Ehefrau stellt eine Falle, die junge Frau spielt mit. Geschlechterkrieg, mit Vorteil, mit Vorurteil, mit Taten und mit Worten, vom Zwei-Personen-Flirt zum Drei-Personen-Verhör, raus aus den Sehenswürdigkeiten von Nizza, rein in ein prächtiges, riesiges, dunkelblau-weiß gehaltenes Studioapartment, mit allem Luxus und Komfort, was zur deutlich ausgesprochenen Anklage, dem Stehen rücklings an der Lügenwand dazugehört.

Du weißt genau, dass nichts passiert ist.“ - “Bin ich zu früh gekommen?“ - “Was heißt zu früh? Sieh sie dir doch an. Sie ist doch noch ein Kind.
Wie ein Kind gebaut ist Marceau jedenfalls nicht mehr, davon darf sich der Zuschauer mehrfach überzeugen, das hat Belmondo erst in die Bredouille gebracht und die Zuschauer ins Kino gelockt. Das erwachsene Spiel jener gibt dem Film auch ein Stück Würde, ein abgeklärtes Verhalten der jungen Persönlichkeit, trotz derzeit weniger bis keiner Perspektiven. Der andere, ebenso verheiratete Mann weg, die Unterkunft gleich mit, Freunde in der Not scheinbar nicht vorhanden, nur die Kleidung am Leibe und die Verstrickung in einer absurden, mit Slapstick, Verkleidung, Autodestruktion angereicherten und aufgeweichten Geschicht'. Eine dekadente Party, ein vermaledeites Geschäftsessen, Ostern und Geburtstag zugleich, ein Leben aus den Fugen, eine Scharade, ein Affentheater erst recht. Es gibt eine Massenprügelei und das Hohe Gericht.
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dejin
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von dejin » So 26. Feb 2023, 02:51

Toll geschrieben zu Profi 2
Ich vermute dein Text ist schöner, als der Film
The awkward moment when you get in the van and the old man has no candy.

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Frau Stockl
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Do 2. Mär 2023, 04:38

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Die ehrwürdige Columbia-Dame präsentiert, Belmondo wird vor Sharif genannt, alphabetisch oder doch populär gesehen, ein Film von Henry Verneuil. Die Bilder von Beginn an fokussiert, Aufmerksamkeiten auf die kleinen Details und dem großen Ganzen, strukturiert statt konventionell. Die Farben teilweise blutrot, die Menschen aufgenommen wie mit dem Zielscheinwerfer, wie im Visier eines Scharfschützen, ein packender und gleichzeitig noch spielerischer, experimenteller Anfang in einem klassischen Film; das Drehteam selber hinter der Kamera ist fast noch prominenter als die Leute vor ihm: Morricone, Julienne – eine Autoverfolgung im fließenden Straßenverkehr wirkt teilweise wie knapp berechnet und improvisiert –, Renoir, eine Ergänzung von Experten, eine Arbeit von Spezialisten, analysiert, decodiert, dechiffriert, gefeilt und geschliffen, analog zu der Handlung im Film.

"Was für eine Stadt. Man kann keine zwei Schritte machen, ohne auf einen Bekannten zu treffen."
Wuselndes Tagleben, funkelndes und gleichzeitig konspiratives Nachtleben, Koffer werden umhergetragen und übergeben. Aus erster Lässigkeit wird bald Gewalt, ein Einbruch, eine Geiselnahme, ein Vorspiel nur, der eigentliche Coup (und der Koffer) ist ein Wunderwerk an Präzision und Technik, eine mehrminütige Sequenz voller vieler einzelner Handgriffe, ein Rififi wie aus James Bond, eine Prä-futuristische, semi-retro Apparatur. Eine erste Gefahr, eine erste Konfrontation, ein Schauspielduell, dass sich fortzieht und der kriminellen Geschichte, eine Roman-Adaption von David Goodis' "The Burglar" (bereits 1957 als Ein Toter lügt nicht verfilmt) seine zusätzliche menschliche Komponente gibt.

"Könnten Sie mich nicht vielleicht mitnehmen in die Stadt?" - "Das hätte ich Ihnen schon selbst angeboten. Aber Sie wissen ja: Unsere Vorschriften sind leider voller Widersprüche. Sie dürften nur in mein Auto einsteigen, wenn ich Sie verhaftet hätte."
Die Zeit verrinnt, der Coup ist minutiös geplant und auch so inszeniert, lange Szenen ohne Längen, ein soghaftes Hineinziehen in die Belange aller Beteiligten, ein Polizist und vier Verbrecher, die Flucht allein misslingt. Beobachtet wird, observiert, aufgeteilt, Versteck gespielt und eine ruppige, sich stets steigernde Hatz quer durch die befüllten Straßen der Stadt, mit quietschenden Reifen und röhrenden Motor durch die Rush Hour, die Unterführungen, in Hochgeschwindigkeit mitten hinein in die Passanten und den Gegenverkehr eingelegt, herabfallende Ölfässer über den kurvigen Asphalt und mehrfach Metall gegen Metall geschleudert.

"Die große Kraft eines Polizisten liegt in seinem Jahresvertrag. Er schließt einen Fall nie ab."
Vier Tage Zeit hat man unfreiwillig vor Ort zu verbringen, getrennt voneinander, ein Zweier-Team, zwei Einzelne, vier lange Tage und Nächte, die genauso intensiv wie der Coup zuvor für alle Mitwirkenden sind; die Veränderungen der Gesellschaft werden angesprochen und erfahren, Drogen, Sex und Alkohol, neue Bekanntschaften geschlossen und alte überdacht. Dabei immer der lange Arm des Gesetzes im Hintergrund, das Damoklesschwert der drohenden Verhaftung (oder der Erschießung), die letzten Tage in Freiheit womöglich, im Hier und Jetzt gelebt, mit bösen Überraschungen, mit Finten und mit Tricks, zwischendurch auch amüsiert und gelacht, aber nicht zu Ende gedacht. Viele große kleine Szenen, viele kleine große Szenen, ein riesiges Polizeiaufgebot und einige wahnwitzige Stunts.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Nahaufnahme » Do 2. Mär 2023, 18:14

Dyan Cannon (1969 das erste Mal für einen Oscar nominiert) und Robert Hossein (in den 60ern vor allem wg. der Angelique-Filme ein Star) waren 1971 auch bekannte Namen.

Ich finde ebenfalls, man bekommt richtig Lust nach Deinen Texten, die Filme zu schauen oder wieder zu schauen, diesen kenne ich noch nicht. Hoffentlich bist Du aus der Phase mit den Doppelfolgen zu RTL- oder anderen Serien durch. ;)

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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Do 2. Mär 2023, 19:28

Cannon ist super hier und teilweise auch höchst attraktiv. Ich kenne sonst nichts von ihr, The Anderson Tapes ist viel zu lange her, vorrätig hab ich nur noch The Last of Sheila und Doctors’ Wives.
Nahaufnahme hat geschrieben:
Do 2. Mär 2023, 18:14
Hoffentlich bist Du aus der Phase mit den Doppelfolgen zu RTL- oder anderen Serien durch. ;)
Sieht schlecht aus. :D
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Nahaufnahme » Fr 3. Mär 2023, 21:40

The Last of Sheila ist ein Muss, aber in Warren Beattys und Buck Henrys Fantasykomödie Heaven Can Wait hatte Cannon ihre unterhaltsamste Rolle.

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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » So 12. Mär 2023, 00:10

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Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, außer vielleicht die eines Tigers im Dschungel.
~ Der eiskalte Engel

Ein Ausflug ins nasskalte Rotterdam, eine Observation, eine großangelegte Operation am Hafen, Ende September des Jahres steht an. Die Vereitelung eines Drogendeals, ein paar Tritte in den Bauch einer 'hochschwangeren' Frau, das braune Pulver kommt zum Vorrschein, “Also ran an die Zauberjungs." Angeleiert wird der Verbrechensschlag vom Greifer, eine Art Söldner für das Gute, ein bisschen Moral und Kampf gegen die Kriminalität und Korruption im Sinn, als Belohnung aber der Koffer voll Geld. Belmondo hier Freelancer, Außenseiter, Windhund und Profi, schnell ein Mysterium, ein Einzelgänger und Einzelkämpfer mit Ruf, was vor allem den schwer geschädigten Organisationen da draußen im Untergrund missfällt. Ein Kopfgeldjäger, ein Cop ohne Regeln, ein Geheimfonds, ein Mann mit stets wechselnden Identitäten, mal ist die Brille auf der Nase, mal ein Schnauzbart darunter klebend.

Willst Du ein Küsschen oder soll ich dir in den Arsch treten? Los, raus!
In Paris geht das Geschehen weiter, ein Juwelierraub mit Plan und Ansage, ein Mehrfachmord an Polizisten, eine Nemesis für den Greifer tritt in Aktion und lässt das Blutbad wüten. Der Beste gegen “Die Bestie“, eine direkte Verbindung, eine Konfrontation am Blühen. Dazwischen wird gehorcht und gelauert, werden andere Probleme angegangen, konspirative Treffen gestört und auf Campingplätzen als Ort der Verschwörung und in Spielcasinos für die Kontaktaufnahme abgehangen. Die Handlung anekdotisch, das Geschehen weit gefächert, erst Melville, dann Peckinpah, da 'muss man die Konzentrierpille zu einschalten', der Job erst beruflich, dann privat engagiert und motiviert.

Musste das sein, mussten Sie ihn abknallen?“ - “Sieh das so, Kleiner: ich lege jeden um, der mich wiedererkennen könnte.
Der Film ist eher trocken, die Bewegungen überschaubar bis minimalistisch, die Gefühle gebremst bis rückzüglich, abgeflachte Effekte, selbst die Gewalt wirkt nicht 'vergnüglich', nicht eskalierend, nicht eskapistisch, nicht essayistisch. Die herbstlichen Gegenden sind kalt und karg bis leer, bald geht es aus der Armutsszenerie gar rein ins Gefängnis, paar Minuten Knastplotte, samt komplizierten Ausbruchsversuch (und wilden Autocrash), für die Geschichte vom Großwildjäger auf der Pirsch nach dem Sperber nicht von Belang, nicht wirklich wichtig. Die deutsche Synchronisation ist dabei etwas noch am Kalauern, die Originalfassung grob und ehrlich, die Zivilisation verroht und verrottet, mit Hang und Drang entweder zum Aussetzen von Problemen, voll mit Korruption oder auch Lust zur Lynchjustiz.

Darstellerisch durchaus gekonnt, dreht sich der Film seltsam im Kreise, hinten raus wirkt es eher etwas wie Getaway, der eigentlich als Fokussierung in das Spiel gebrachte Cremer verschwindet gänzlich aus dem Blickfeld und wird auch charakterlich nie wirklich thematisiert, was der durchweg mit männlicher Besetzung gehaltenen Produktion auch eine merkwürdige homophobe Stimmung in seine Richtung mit beigibt. Einige Spannungsmomente wie das Vor-Finale auf einem verfallenen Bauerngehöft mitten auf dem isolierten Lande (mit schmerzhaft 'ungelenken' Fenstersturz als Stunt) scheinen recht konstruiert, alle Parteien, darunter die der privaten Killer-Elite fahren wie ferngesteuert zielgerecht genau in die Einöde, um sich dort mit unterschiedlichen Kalibern zu duellieren; Belmondo nutzt fleissig die High Standard Flite King, während McQueen zuvor die High Standard K-1200 Riot Standard Shotgun für selbiges Ketchup-rotes Blutvergießen einsetzte.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Di 21. Mär 2023, 01:07

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Ein wenig in der Ausnahmestellung in der Karriere von Belmondo wirkt Der Boss, mit internationalen, fast amerikanisch scheinenden Anstrich, direkter auf den Weltmarkt auch gesetzt, gedreht als Co-Produktion mit und in Kanada, dem Double für die Vereinigten Staaten von Amerika, als Film kurz darauf selber von der USA für ein 'Remake' und dies mit durchaus stattlicher Besetzung akquiriert bzw. mit der Nutzung des Originaltitels als weitere Verfilmung von Jay Cronleys "Quick Change" adaptiert. Belmondo hier auch mal wieder und dies eher selten als Teil eines Teams, als Anführer, nicht als Einzelgänger, die Wiederholung von Der Coup quasi, wo auch die Flucht selber das eigentliche Problem war und nicht die Durchführung des kriminellen Husarenstück.

"Warum bist du nur so sicher, dass es klappt?" - "Ich bin gar nicht so sicher. Im Gegenteil. Ich glaube, es geht schief."
Aufgezogen hier mit komödiantischen Beiton, als Hold-Up, gedreht und auch wirkend wie die tiefsten Achtziger, eher als Familienunterhaltung, kräftige bis knallige Farben, ein poppiger, für den Moment eingängiger, wenn auch letztlich vergesslicher englischer Titelsong, eine erste körperliche Konfrontation. Viel Geld steht auf dem Spiel, mehr als 2 Millionen. Bearbeitet u.a. von Francis Veber wird die 1981 veröffentlichte, Donald Westlake gewidmete Buchvorlage als Spiel mit dem Gesetz und weiteren Kriminellen angeheizt, das erinnert nicht nur durch den ersten Handlungsschwerpunkt der Bank ein wenig an dessen Die Flüchtigen (respektive Das Bankentrio), eine Geiselnahme in den frühen Morgenstunden, vom Quartier Général ein riesiges und schwerbewaffnetes Polizeiaufgebot, auf der Gegenseite Natriumnitrat gemischt mit Paraffin.

Ein echter Revolver und ein falscher Clown dominieren bald die Stadt, Viertel sind abgesperrt, alles ist in Bereitschaft, Scharfschützen auf den Dächern platziert. Ein Spiel mit falschen Finten, mit versteckter Fassade, mit Personen in der Hinterhand, und mit zwischen Gewalt "(Was ist das? Es ist rund wie ein Ballon und explodiert, wenn man hineinschießt?...Das ist ein Kopf. Haben Sie schon mal gesehen, wie ein Kopf explodiert?") und Humor wechselnden Ton. Eine moralisch diffuse Lage, zwischendurch eine Groteske, nicht zu ausufernd, aber mit den (psychopathischen) Ansätzen dazu, mit Ablenkungen und der entsprechenden Option.

"Ich will, dass das hier in einer Stunde vorbei ist."
Daraus wird nichts, der Film dauert etwas länger, fast zwei Stunden, Belmondo zielt als Clown ordentlich hoch und reichlich drüber; nach einem Drittel etwa beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten, startend mit einer Autohatz, einem Gedränge direkt in die Fensterscheibe der nächsten Bank und so in das konkrete Abenteuer. Immer in der Bewegung ist man dann zumindest, eine simple Hit-and-Run Geschichte, ein Unterhaltungsfilm, es gibt viele Fahrzeugwechsel, es viele Bilder von Montreal und Umgebung, es gibt interne Konfikte ("Tja, der Faktor Mensch ist unberechenbar."), es gibt von Remy Julienne manch größere Kollisionen. Memorabel ist das alles nicht, abseits der langen Eröffnung weiß man nach dem Abspann im Grunde nichts mehr vom Gesehenen, die Mitspieler abseits der kurz blank ziehenden Cattrall und deren Szenen sind meistens vollkommen unauffällig; Quick Change ist nicht wirklich besser, im Gegenteil, aber anders und spezieller, er ist kürzer und mehr in einzelne prägnante Anekdoten aufgeteilt, er hat präzise Nebendarsteller und mit New York auch die bessere Quelle.
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Re: Jean-Paul Belmondo

Beitrag von Frau Stockl » Di 21. Mär 2023, 22:35

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Belmondo hier vor allem mit weiblicher Unterstützung, Capucine, Ferréol, speziell Bujold, vor der Kamera neuen Begleitungen und Ablenkungen, hinter ihr das übliche Soll. Zeit zum Träumen hatte der Star hier, der Unverbesserliche, der junge Mann, Zeit zum Umsetzen ist dabei weniger, man lässt nichts anbrennen, drei Monate 'Urlaub' ist untätig vergangen, Hektik steht an. Ein paar Anrufe, einige Finten, so manche Tricks. Es geht um die Frage des Geldes und um die Frage des Prinzips.

Das Tempo ist hoch, es wird gewandert und bewegt, es wird gelogen und betrogen, ein Ammenmärchen nach dem anderen, bevor es dann zur eigentlichen Geschichte geht. Lust und Luft, Spiegeleien und Spielereien, ein Leben voller Seifenblasen, ein ständiges verbales Stechen und Hauen, ein Heil in der humoristischen Flucht gesucht, mit Verkleidung, mit Perücke und abfallenden Nasen. Tarnung und Täuschung, Wechsel von Identitäten, Dialogwulst zur Überzeugung, Schnitt, Schnitt, Schnitt, noch mehr Stress und viel Tarnung sowie Lügen und Überredungskunst.

"Sieh mal, du hast nur schlechte Kritiken, mein Junge. Da, lies mal vor:"
Belmondo hier als Hansdampf in allen Gassen, zügellos und unverschämt, keine Grenzen, keine Skrupel, dafür (vermeintlich oder vermutlich) Charme und eine gehörige Präsenz. Es geht um einen Lebenskünstler, einen Traumtänzer, L'Incorrigible, die Chuzpe im Blut, die Manieren fern. Belmondo hier auch mal im Fummel (oder im Frack mit Hut, wie ein Zauberkünstler aus dem Zirkus), als 'linker Loddel', für keinen Gag zu schade, die Komödie breit gespielt, Grimassen, Sprüche, Verrenkungen, alles locker aus der Hüfte, alles mit viel Energie, im schnell-schnell und erstmal ohne Ziel.

"Such Trost in deinem miesen Mittelmaß."
Zauberhaft soll das sein, freigeistig, fein geistig, unkonventionell, ein Fantasiegespinst, eine große Liebe zwischen dem Filou und der kleinen Bürgerstochter. Manche Dialoge sind gewürzter als andere, wirken aber eher affektiert, es finden sowieso kaum 'normale' Gespräche statt, alles wirkt immer unfokussiert bis überdreht. Ruhepunkte und entsprechende liebliche ländliche oder kleinstädtische Stätten sind theoretisch vorhanden, werden aber wenig genutzt, manche Gags ("Was hat man mit dir gemacht? Hat man dich vergewaltigt?" - "Leider nicht."; und Bujold bringt mehrere von der Sorte) zielen unter die Gürtellinie und sind eher schmutzig bis unteres Stammtischniveau. Den Unfrieden, den auch der Star in der Haupt- und Titelrolle, der Berufsschwindler, der "rastlose Weltenbummler" hier hereinbringt, versteht man als Zuschauer in seiner Notwendigkeit dabei nicht so ganz, der Mann wirkt unnötig getrieben, gehetzt, atemlos wie bis auf Droge, die anderen Personen haben dem wenig entgegenzusetzen und werden mitgerissen und verfallen dem Clown in der Menagerie, dabei könnte eigentlich jeder in Ruhe sein eigenes Leben genießen.

"Es stört mich nicht, dass du das Bild abmontierst, während ich mit ihr bumse. Aber es stört mich, wenn ich mit ihr bumse, und ich weiß, dass du zuhörst."
Wenigstens ist die Regie dabei relativ entspannt, das Gewusel und Gewimmel ist in den Bildern, nicht durch sie, Bujold ("Setz dich mal, du machst mich ganz wuschig.(...) Warum bist du nur so nervös?") ist ein angenehmer Kontrapunkt zu Bébel und wie auch einige Lokalitäten ein optischer Reiz, mit und ohne Büstenhalter, außerdem ist das allgemeine Milieu hier eher veraltet wirkend bis antik friedlich. Der spätere 'Krimi'plot durch den angedachten Coup ist von vielerlei Trotteligkeiten und slapstickhaften Missgeschicken bis Unsäglichkeiten geplagt, da kommt es nicht zum Akt, geschweige denn zum Höhepunkt, da wird selbst der Hauptdarsteller impotent.
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