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Neuigkeiten und Diskussionen zu Filmen aus Europa.
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Thorsten Hanisch
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Beitrag von Thorsten Hanisch » So 10. Jun 2012, 18:18

Marco Kreuzpaintner ("Krabat", "Die Wolke") verfilmt nun das Leben von Rainer Werner Fassbinder.

Dazu gibt's hier n schönes Interview.
»Wenn man der Klügste im Raum ist, ist man im falschen Raum« (K. Lauterbach)

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Beitrag von Nahaufnahme » So 10. Jun 2012, 21:42

Furchtbare Idee. Gibt es einen Menschen, für den sich noch weniger interessieren als für Fassbinder? Einen Filmemacher, der bei knapp vierzig Filmen nur vier drehte, die überhaupt über eine Million Zuschauer fanden ? Die gelungene Romy-Schneider-Bio von Torsten Fischer mit Jessica Schwarz lief nur im TV und hatte an einem Mittwochabend lediglich etwas über 4 Millionen Zuschauer, Hilde und Marlene hat keiner im Kino sehen wollen - die Regisseure Kai Wessel und Josef Vilsmaier sind doch die gleiche Kategorie wie Marco Kreuzpainter. Das wird wieder nichts!

Das Interview demonstriert eindeutig das falsche Verständnis: schon vor Kreuzpainter hat Hanna Schygulla in den frühen 90er Jahren bei der ersten Felix-Verleihung davon geschwafelt, wie Almodóvar von Fassbinder inspiriert worden sei. Inzwischen gibt es Bücher und diverse Artikel, die das behaupten:

"In Deutschland gilt Almodóvar als einzig legitimer Erbe von Rainer Werner Fassbinder. Das ist nur zur Hälfte wahr. Es stimmt, dass der junge Almodóvar Fassbinders Kino verehrt, dass er filmische Anleihen bei ihm gemacht und die Selbstverständlichkeit, mit der er Homo- und Transsexualität gezeigt hat, von dem deutschen Regisseur übernommen hat. Aber schon mit seinem vierten Spielfilm "Womit habe ich das verdient?" hat sich Almodóvar von Fassbinder verabschiedet. In der Geschichte fährt ein Schriftsteller, der mit der Hauptfigur befreundet ist, aus Madrid nach Berlin, um eine ehemalige UFA-Diva zu überreden, für ihn weiterhin Hitler-Tagebücher zu fälschen. Das ist "Die Sehnsucht der Veronika Voss", geteilt durch "Lili Marleen", mit einer typischen Almodóvar-Pointe."

Bloß Almodóvar hat sich in keinem Interview jemals dazu geäußert und "die Selbstverständlichkeit, mit der er Homo- und Transsexualität gezeigt hat" ist keine originäre Idee Fassbinders. Fassbinder hat übrigens auch nicht die Homosexualität fürs Kino erfunden, liebe heterosexuelle Filmkritiker mit unstillbarem Vergleichsdrang.

Blödsinn, der ist wie Fassbinder von Douglas Sirk beeinflusst worden. Almodóvars Filme haben ein großes Publikum und tatsächlich internationalen Erfolg.

Kreuzpainter: "Sehen Sie Almodóvar an: Von der Erzählweise bis zu der Farbgestaltung, fast eins zu eins Fassbinder" - das ist doch vollkommen absurd!

Fassbinders bester Film LOLA ist in der Farbgestaltung keine Neuerfindung des Kinos sondern ein Hommage an die Technicolor-Spektakel der 50er Jahre (in der LOLA ja nicht zufällig spielt). Die deutsche Filmszene hat Fassbinder schon immer maßlos überschätzt, bei einzelnen Aufführungen seiner Filme in New York von großem Interesse in den USA geträumt. Die kapieren es einfach nicht! Wieso regt mich das jetzt bloß so auf? Na wegen, der Filmförderung, die da sicher versenkt wird! :evil:

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Julio Sacchi
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Beitrag von Julio Sacchi » Mo 11. Jun 2012, 10:32

Ich interessiere mich für Fassbinder. Und ROMY war alles andere als gelungen.

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Yuki
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Beitrag von Yuki » Mo 11. Jun 2012, 12:24

Mich interessiert der auch. Guck gerade "wieder" Berlin Alexanderplatz - muss man sich mal vorstellen :!: Aber so'n Biopic - da weiß ich auch nicht. ROMY nie gesehen.

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Beitrag von Nahaufnahme » Mo 11. Jun 2012, 22:16

Na schön, dann hat der Fassbinder-Film schon drei zahlende Zuschauer, Hanisch, Yuki und Sacchi. Das Echo in einem Filmforum ist aber doch kaum repräsentativ. :idea:

Wollt Ihr Euch auch den geplanten Riefenstahl-Film mit Maria Furtwängler fürs ZDF anschauen? Nein? Habe ich mir fast gedacht. :lol:

Der Romy-Film war trotzdem besser als die Knef- und Marlene-Versuche und erst recht als Eva Fassbinder Mattes damals. Für einen TV-Film versuchte der wenigstens einigermaßen kreativ mit körnigen Bildern Super 8 nachzuahmen und ähnliches.

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Beitrag von haarmlos » Do 14. Jun 2012, 21:45

zeig mir ein intensiveres und in der Biografie des Filmemachers stärker verankertes Drama als IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN, der absolute Autorenfilm und voller Zungeigung für seine Figuren. Fassbinder ist alternativlos!

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Thorsten Hanisch
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Beitrag von Thorsten Hanisch » Do 14. Jun 2012, 21:55

Ja, da geb ich Dir absolut Recht. Gestern gesehen. Wahnsinn.
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Beitrag von Nahaufnahme » Do 14. Jun 2012, 22:57

haarmlos hat geschrieben:zeig mir ein intensiveres und in der Biografie des Filmemachers stärker verankertes Drama als IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN, der absolute Autorenfilm und voller Zungeigung für seine Figuren.
Transsexualität, das haben nun wirklich von genug "Autorenfilmer" abgehandelt, mal mehr und mal weniger intensiv als bei Fassbinder. Hier eine Listevon Transgender-Filmen (in der allerdings Fassbinders Film unerklärlicherweise fehlt). Mir gefiel übrigens ROMEOS im letzten Jahr sehr gut. Auf der Liste würde ich fünf Titel nennen, die mir nicht weniger "intensiv" erschienen...

Wie kommst Du bloß darauf, dass in Fassbinders Biografie Transsexualität eine Rolle gespielt hat? Es gibt hetero- wie homosexuelle Regisseure und Regisseurinnen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, vielleicht auch transsexuelle. Als Homosexueller hast Du jedenfalls nicht mehr mit Transexualität zu tun als ein Heterosexueller - also was hat das mit Fassbinder selbst zu tun? Dass er den Film als "persönliche Reaktion" auf den Selbstmord seines Ex-Lebensgefährten gedreht hat, der nicht transsexuell war? Das ist Bedeutungshascherei einiger Kulturjournalisten wie bei vielem, was mit Fassbinder zu tun hatte. Fassbinder hat dauernd gedreht und soll schon vor dem Tod seines Ex an dem Film gearbeitet haben. Eine Menge Regisseure drehen persönliche Filme ohne das Thema ihres Filmes selbst persönlich erlebt zu haben. IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN halte ich aber auch für eines der besseren Werke Fassbinders, wie ANGST ESSEN SEELE AUF und LOLA wo die Charaktere ebenfalls leben und nicht wie anderen seiner Filme statisch herumstehen und theatralische Texte labern.

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Beitrag von haarmlos » Mo 18. Jun 2012, 17:22

Das kann so gar nicht stehenbleiben!!!
Nahaufnahme hat geschrieben:Das ist Bedeutungshascherei einiger Kulturjournalisten wie bei vielem, was mit Fassbinder zu tun hatte. Fassbinder hat dauernd gedreht und soll schon vor dem Tod seines Ex an dem Film gearbeitet haben.
Das kann so gar nicht stehenbleiben!!! Denn das ist nicht richtig. Das Treatment wurde als unmittelbare Reaktion auf den Selbstmord Armin Meiers geschrieben. Wie auch Juliane Lorenz im Interview auf der DVD des Films erläutert, hat sich Fassbinder 4 Wochen in Köln bei Freunden eingenistet und verarbeitet und geschrieben. Die Freunde sind meine Chefs, daher konnte ich das nochmal nachfragen.
Alle Mitarbeiter und Gefährten, die zu dem Film befragt werden, geben Armin Meiers Selbstmord als Motivation für den Film an und das Werk als Hommage an ihn.
Deiner Argumentation folgend würden dann diese Leute alles nachplappern, was einigen Kulturjournalisten erfunden hätten. Gut, könnte so sein im Hinblick auf die Legendenbildung. Aber Du müsstest das bitte belegen, vor allem, daß an dem Film schon vorher gearbeitet worden sei. Sonst sehe ich das als eine unbelegte Behauptung an.
Meine Information dazu ist eine andere und durch Aussagen belegt.


Zu Deinen Ausführungen zu Transsexualität im Film:
ich müsste nochmal nachgucken, aber ich glaube nicht, daß Fassbinder den Begriff transexuell für Erwin/Elvira überhaupt verwendet. Erwin/Elivra ist zwar "technisch" gesehen eine Transsexuelle, aber der Beweggrund zur Operation ist ja ein komplett anderer als bei Transsexuellen.

Es geht um eine künstlerische Aufarbeitung Fassinders des Seelenlebens von Armin und das finde ich hat er durch die mit großer Zuneigung gezeichnete Figur Erwin / Elvira eindrucksvoll erreicht.

Hier die Belege für die Parallelität Elvira/Erwin vs. Armin, wie ich sie sehe:

Erwin / Armin is ein nicht ganz unähnlicher Name.

Erwin ist Metzger. / Armin war Metzger.

Erwin ist ein ungeliebtes Kind und bei Nonnen aufgewachsen. / Armin Meier war in Nazi-Deutschland im Lebensborn (kann sein, daß ich mich in dem Punkt vertue, aber ich meine das aus der Literatur zu erinnern)

Erwin ist verheiratet, hat ein Kind, verliebt sich in einen Mann. / Armin, ein völliger Aussenseiter im schwulen Künstlerumfeld, verliebt sich in Fassbinder

Erwin lässt sich umoperieren aus einem nicht zu Ende gedachten Impuls als Reaktion auf einen spielerischen - mit Menschen-spielenden - Spruch seines Angebeteten. / vgl. den persönlichen Umgang von Fassbinder mit Armin in DEUTSCHLAND IM HERBST

Erwin /Elvira will geliebt werden, verzweifelt dran, daß er / sie nicht die Liebe findet, die er / sie sucht. Das Ende: (Frei)-tod / vgl. Armin in DEUTSCHLAND IM HERBST und vgl. Kommentare aller Weggefährten und vgl. die Trennung von Armin und Fassbinder und seinen Freitod


Den Film mit Transsexuellen-Filmen zu vergleichen hinkt also meiner Meinung nach, auch wenn der Begriff immer benutzt wird.
Nahaufnahme hat geschrieben: Wie kommst Du bloß darauf, dass in Fassbinders Biografie Transsexualität eine Rolle gespielt hat?
Da hast Du mir aus denke ich mal oben genannter dauernden Transsexulitäts-Vermischung im Diskurs zum Film auch was in den Mund gelegt, das ich so nicht geschrieben hatte. Ich habe von einem "Drama" geschrieben und ein solches ist der Film. (Muss gerade an die Ankündigung von letzter Woche auf ARTE denken, wo DER HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN als Tragikomödie (!) angekündigt wurde. Tz tz tz.) Und ich habe geschrieben "zeig mir ein intensiveres und in der Biografie des Filmemachers stärker verankertes Drama als IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN" und ich glaube mit dem bis hier geschriebenen hab ich das nochmal unterstrichen. Deine gegenteilige Behauptung akzeptiere ich ohne Beleg nicht.


Um das abzuschließen:
Nahaufnahme hat geschrieben: Als Homosexueller hast Du jedenfalls nicht mehr mit Transexualität zu tun als ein Heterosexueller - also was hat das mit Fassbinder selbst zu tun?
Da gebe ich Dir teilsweise recht. Aber Fassbinder war ja nun nicht an vorderster Front schwul, sondern wie jeder erstmal eine Person. Fassbinder kannte zumindest schonmal einige Transexuelle, also schonmal mehr als damals bestimmt 95% der Menschen.
Aber Du schreibst ja ganz richtig "was hat das mit Fassbinder selbst zu tun". Alles und nix: er hat die Rolle der Elwira eben als große Tragödie über das Verzweifeln eines einzelnen an sich und der Welt geschrieben.

Tschuldigung, daß ich hier so aushole, aber der Film liegt mir so wahnsinnig am Herzen und ich konnte Dein Posting einfach nicht so stehenlassen, zumals als Weisheit letzter Schluss hier im Forum.

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Thorsten Hanisch
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Beitrag von Thorsten Hanisch » Mo 18. Jun 2012, 17:43

haarmlos hat geschrieben:Die Freunde sind meine Chefs, daher konnte ich das nochmal nachfragen.
Sorry, aber ich bin einfach zu neugierig: Darf man fragen, was Du beruflich machst?
haarmlos hat geschrieben:wo DER HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN als Tragikomödie (!) angekündigt wurde.
Das fand ich in der Tat auch merkwürdig.
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