Jean-Paul Belmondo
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Re: Jean-Paul Belmondo
Albert lebt in der Erinnerung, in einem anderen fernen Land, in einem Abenteuerleben, er erzählt und träumt vom Jangtsekiang, er erhebt bei Störung seiner Märchen seine Stimme, droht mit Aufruhr, mit zerstörerischen Beben. Bald gibt's richtigen Alarm, ein Fliegerangriff, “Dieser Krieg geht mir langsam auf die Nerven.“, Bomben schlagen ein, aus ist's mit den Geschichten vom Jangtsekiang, vorbei mit dem über den Dingen schweben. Rauch wabt über das Land, Feuer, Tod und Katastrophen, der Heimweg führt durch Chaos und Zerstörung, der Mann ist abends immer noch betrunken, er sucht weiter das Heil in der Flucht, er ist weiter laut, im Delir und geifernd; das führt bei seinen Mitmenschen zu Resignation, zur Verzweiflung, zur Empörung.
“Wenn du weniger trinken würdest, hättest du Angst wie wir alle.“ - “Wenn ich weniger trinken würde, wäre ich ein anderer Mensch.“
Verneuil, der von seinen einheimischen Kritikern wegen späteren Genrewerken zuweilen als 'amerikanischer' Regisseur bezeichnet wurde, ist hier in der Adaption von Antoine Blondin lokal verbunden, intim erzählend und der landeseigenen Geschichte tätig. Sein Star ist hier nicht Belmondo, sondern Gabin, welcher ähnliche Rollen auf ähnliche Art und Weise erneut spielt (allen voran in Balduin, das Nachtgespenst), wird durch Belmondo (“Leck mich am Arsch mit deinen Sonnentagen.“) allerdings gefördert, gefordert und ergänzt. Die Handlung wird erweitert und verbreitert, es geht um 15 Jahre später, bald um eine Freundschaft zwischen zwei Männern, ein Paar, wie Vater und Sohn, ein Duo, nicht bloß ein einzelner Mensch.
“Haben Sie ein Zimmer frei?“ - “Ich habe vierzehn Zimmer frei.“
Der Krieg ist längst vorbei, auch das Saufen, die Rettung damals und jetzt gleichermaßen, Albert hat Konturen gewonnen und echte Emotionen zurück, er lebt ein neues Leben, das Hotel hat einen Gast. Die Inszenierung wird oft, nicht immer präziser, darstellerisch lockerer und ehrlich, es gibt weiterhin einige erzwungen wirkende Szenen (der Dorfklatsch in der abendlichen Kneipe gegenüber, erneute unpassende bzw. unpassend formulierte Rauschzustände), Wiederholungen von Bekannten, ein Verbalisieren von Offensichtlichen, gefangen im Kleinklein, hier in Tigreville, dem 'Kalifornien der Normandie'. Gelungen sind die Kamera, die Bilder, die Gegenstände, Handlungen, Figuren in den Kontext setzen und die Umwelt zeichnen. Es gibt großartige Momente, das Hineinsteigern in den ersten Flamenco, “Ein Matador geht allein. Einen Matador wirft man nicht hinaus.“, es gibt viele lange Einstellungen, die das Vorne ebenso einfangen wie das Dahinter, es gibt Träume und Ehrlichkeit, es gibt den Affen im Winter, es gibt Fässer voll Alkohol. Es gibt menschliche Beziehungen, ihre Sicherheit, ihre Gefährlichkeit, das sich Verlassen können und Wollen auf dem Gegenüber, und das Verlassen Werden, der Wirt hat zu sich selber gefunden und hat auch jemanden an seiner Seite, der Gast ist scheinbar einzeln und alleine noch, er ist unvollständig, er ist angegriffen und teils verletzt und abgestorben, er zeigt dies nicht offen, er macht sich Sorgen.
Das ist mal Märchen, mal Drama und mal Komödie, mal realistisch und mal skurril und mal auch ärgerlich, das ist mal Film und das ist mal Leben. Die Handlung dreht sich um das Rätsel Mensch, um offene und auch um nicht gestellte Fragen, um die Unwägbarkeiten des Schicksals, manchmal auch um Antworten, auch gerne um ein nicht Hören wollen dieser. Die Sucht nach dem Rausch dabei mit als Stärke des Filmes, im nüchtern eine ernsthafte Abhandlung, in der Trunkenheit dann wieder rückfällig zu dem Beginn des Ganzen: lautmalerisch, mißstimmig, mit selbst- und fremd-zerstörerischen Feuerwerk, buchstäblich ohne Sinn und Verstand und reichlich drüber.
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Re: Jean-Paul Belmondo
Edle Gesten werden hier geboten, erst die Trauerarbeit, die Treffen, die Gespräche, vorher wird sich gründlich über die Gegenseite informiert. Außergewöhnliche Persönlichkeiten, die Spitze des Eisberges, die Schönen und die Reichen, die Obersten Zehntausend. Ein Springen durch die Geschehnisse bis hierhin, bis zum Antreten des Erbes, eine 'Informationssendung' durch die Presse ("Das beschissenste Blatt von Paris." - "Vielen Dank."), die den Zuschauer die Vorereignisse berichtet und die Hintergrundschaltung. "Jedenfalls bringt er genug auf die Waage, um eine Sendung zu machen." - "Und dazu sieht er noch verdammt gut aus."
Gut aussehen tun auch die Frauen hier, der Film insgesamt, hochpreisig das Dekor und Arrangement. Eine Biografie wird geboten, eine Sonderbeilage, eine Detektivarbeit, ein Action-Krimi mit Scharfschützenanschlägen, ein Seelenexposé, eine Prügelei mit dem militärischen Vorgesetzten, ein wüstes Rugbymatch, im Heimflug in der ersten Klasse noch ein Liebesspiel. Nicht von jetzt auf gleich der reichste Mann der Welt, aber "der Mann des Monats" und jetzt immerhin millionenschwer. Die Anzüge (von Cerruti) dunkel und gedeckt, die Kostüme (von Dreyfus & Saint-Laurent) maßgeschneidert, das Auftreten souverän, die Dialogarbeit auf den Punkt, ein gleichzeitig trockenes und in Saft und Kraft stehendes Geschehen, weit verstrickt und tief verzweigt. Die Presse ist anbei, die Politik, die Polizei. Die Perversion. Frauen gehen ein, Frauen gehen aus, sie ziehen sich aus.
"Sind Sie nicht ein bisschen durcheinander? Durch die Zeitverschiebung?"
Labro arbeitet viel mit Zwischenschnitten, mit Voreinstellungen, mit Andeutungen, die erst später oder überhaupt nicht erklärt werden, mit kleinen Details in einer großen Zeichnung, mit Sprüngen vor und zurück, mit Blicken seitwärts, mit alten Geschichten, mit Nachforschungen und Ermittlungen nach vorn. Ein toter Mechaniker, eine angeheuerte Prostituierte, eine Finte beim Zoll, eine Autobombe unter dem ersten Wagen, ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug nach der Beerdigung, zwei brennende Insassen, ein flammendes Konstrukt.
"Ich werde pro Woche einen Skandal aufdecken. Das dürfte in Frankreich heute nicht allzu schwierig sein."
Politisiert wird das Ganze, die Gesellschaft und die Zustände mit in Augenschein genommen, ein 'Nachdenken über das Problem Europa', von einer erhöhten Warte aus und mit dem Blick eines 'Fremden', der die letzten Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und dort die Veränderungen mitbekommen hat. Die Hebel der Macht und das Schalten und Walten sind ihm seit frühester Kindheit und der speziellen Erziehung eingebläut und dargebracht, er ist gewohnt zu bekommen, was er will, und sich dies zur Not zu nehmen; der Star im Mittelpunkt. Der Fixstern im Geschehen. Die Industrie ist ihm egal. Die Meinungsfreiheit ist ihm wichig.
Die Regie hat dabei gut zu tun, es gibt das berufliche, ein gewisses auf den Busch klopfen und Reformieren, es gibt einen Haufen von Hinterleuten, die aus der Gegenwart, dem Neofaschismus, und der Vergangenheit, 'der industriellen Vereinigung der italienisch-deutschen Achse' und den Deportationen katholisch-jüdischer Familien während des Zweiten Weltkriegs kommen, die ihr Spiel treiben, es gibt das Private, eine Mé·nage-à-trois, zwischen dem Playboy, einer gutbezahlten Prostituierten und einer Journalistin, einer jungen alleinerziehenden Mutter, die ihre Leidenschaft (scheinbar) im 'Aufreißen' beliebiger Taxifahrer sucht und findet und vom jungen Millionär aufgrund einer Art Verweigerung meist nur Demütigung bis Ohrfeigen entgegennimmt. "Das Männchenspielchen in seiner ganzen Aufgeblasenheit."
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Re: Jean-Paul Belmondo
“Es gibt Situationen, da sind mir zwei mittelmäßige französische Soldaten lieber als ein guter deutscher.“
Das Schlachtfeld ist überschaubar und zuweilen uneinsehbar, es ist von allen Seiten umzingelt und umstellt, es ist nicht uneinnehmbar. Das Ziel ist greifbar und es ist direkt vor den Augen: der schnelle Tod oder das große Geld. Die vielen Verluste werden nicht groß beklagt oder betrauert, das eigene Leben und Überleben ist wichtig, und die beauftragte Mission und ihre Erfüllung ist natürlich das oberste Gebot, was selbst im staubigen Blutbad nur zählt. Fünf Leute sind noch über, dann vier, ein Kommandounternehmen war es mal gewesen, bald krabbelt man im Staub zwischen zerrissenen Metall und den Verwesenden.
“Na, was hältst du denn jetzt so von der Weltlage?“ - “Sie kann nur besser werden, würd' ich sagen.“
Das Ganze ist von Verneuil dabei mit Wert auch auf Effekt und Aktion und mit lockerem Mundwerk gestaltet, es gibt die aufflammenden Detonationen, es gibt die lockeren bis zynischen Sprüche, Bebel sprintet wie ein Hase über das Kriegsfeld. Gegenangriffe bei Nacht (“Es sind zwei. Was mich ankotzt ist ihre Missachtung. Die unterschätzen uns doch.“) lassen keine Atempause aufkommen, dazu wird eine Haubitze mit List und Tücke zurückerobert, Krieg hier abenteuerlich und abenteuerlustig, den 'Supersoldaten' von der SS wird der Mores gelehrt und heimgeleuchtet, das ist beige und sandfarben statt grün und Tarnfleck, das ist trotzdem Brian G. Hutton, das ist Agenten sterben einsam und vor allem Stoßtrupp Gold. (Entsprechende Remake-Vorwürfe konnten allerdings mit einer eigenen literarischen Vorlage, Pierre Siniacs gleichnamiger Roman von 1968 abgewendet werden.)
Bald herrscht eine Meuterei in der übriggebliebenen Truppe, Fahnenflucht, Verschwörung im Beisein des Feindes, Widerstand gegen seinen Vorgesetzten und Bankraub; einmal Legionär und bloß für den Sold und die geschenkte Freiheit tätig, immer Legionär, ein wüster Haufen, mit eigenen moralischen Verständnissen, Uniform und Rangabzeichen sind schnell egal, Befehle gibt jetzt der mit der Hand an dem Gewehr. Es fallen Wortgefechte und Flüche, es fliegen die Fäuste, Landsmänner im Feindesland prügeln sich, vom Kriegsspektakel zum Gaunerstück, vom Wahnsinn zum Irrsinn, für eine Komödie zu grob, für eine Groteske zu harmlos und für eine Satire zu wenig Biss und Grips.
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Re: Jean-Paul Belmondo
Saukerl! Schweinehund!“, man hat ihn ebenso wenig vergessen wie er vergessen hat, die Geschichte hat hier erst begonnen, ist aber schon längst angefangen und gleichzeitig auserzählt. Ein Aufenthalt nicht wünschenswert, und auch nicht gewünscht.
“Ob das Arschloch wohl bei meinem Prozess war?“
Die Reise ist eine Rückkehr, sieben Jahre sind vergangen, die Gegend ist gleich geblieben und hat sich doch verändert, der Mann war die letzte Zeit weg, stattlich in einem gedrungenen dunklen Raum eingesperrt, in der Justizvollzugsanstalt gefangen. Vor und zurück wird hier geblickt, ein Thriller, ein Krimi, ein Psychogramm, die Romanadaption von Félicien Marceau; Marceau hat sich auch hierbei engagiert, er ist zusammen mit Verneuil und Michel Audiard beim Schreiben des Drehbuchs und somit als 'Überwacher' des Übertragens von einem Medium in das andere (und dies deutlich hervorstechend in der Art und Weise der Narration) aufgezählt. Die Handlung wird gezeigt, das Gesagte gesprochen, die Gedanken dahinter still für sich angedeutet, längere Wegstrecken von der Kamera, längere eingespeiste Texte von der Hauptperson dargeboten, eine Kongruenz oftmals nicht vorhanden, widersprüchliches offen gelegt, die Konflikte daraus resultierend visualisiert. Was ist geschehen, was ist wie warum passiert.
“Doppelt so viele Arschlöcher, entsetzliche Vorstellung.“
Es geht hier nicht bloß um die Veränderung des Mannes, sondern vor allem auch um die seiner Umwelt, der Gesellschaft allgemein, der Zivilbevölkerung, die von wenigen beeinflusst und gesteuert wird, von wenigem befeuert, von oben gelenkt und manipuliert, aber auch am unteren Ende oftmals nur den eigenen Vorteil, den eigenen Kommerz, den eigenen Gewinn kalkuliert. Früher war das genauso, vorher war nicht alles besser, “Damals glaub ich hat mein Hass begonnen.“, Erinnerungen an die Kindheit, die geprägt hat, an die Jahre dazwischen. Zwischendurch wird Sex als Waffe eingesetzt, Verführung und Geschlechtsverkehr als Rache, eine Bettgeschichte als mögliche Option, als Einstieg ins Textilgeschäft. Der Film geht von der Breite in die Tiefe, in die Erschließung, in die Ursächlichkeit des Ganzen, raus aus der nackten Bebilderung, rein scheinbar in die Gefühle.
"Die Königin Mutter tritt auf." - "Welche denn? Der Blumentopf oder die Federmiezi?"
Für einen Moment erinnert der Film an Das Unverbesserliche, bloß in ruhig, ernst und konsequent; Belmondo sitzt am Tisch der Schönen und der Reichen wie das personifizierte Falschgeld, nur verkleidet wirkend und wie zur Tarnung, zumal das Etablissement hier affektiert gezeichnet wird und mit der Nase hoch oben in die Luft bestückt. Eine trotz Beschäftigung gelangweilte Schickeria, mit Ausritt, mit Golf, mit dem Liegen am Pool zu tun, von dem 'Francoise der Teestunde' angeheitert und entzückt. Das wird ein bisschen ausufernd und konstruiert, Treffen hier und Treffen da, Politik, Polizei, Presse, Partei, Prostitution; es gibt den Versuch einer Bestechung, es gibt einen blutigen Kopfstoß, es springt wieder zur Chronologie, es geht wieder voran statt in die Vergangenheit zurück. Es wird mondäner, es wird schmutziger, es geht wieder in das Sexuelle bis nun Obszöne, es geht in den Schmutz der Stadt, die ihr wahres Gesicht dann zeigt, im Dunkel der Nacht zumindest, nach außen hin wird weiter Theater gespielt.
Mit der Ankunft eines Zuges kommt der Mann ins Bild, Cournai ist der Bahnhof, zehn Minuten Aufenthalt, der Mann steigt aus, ist hier am Ende einer Reise und am Anfang vom Ende sowieso, der Blick müde, die Stirn gerunzelt, das Gesicht skeptisch, auf Probleme eingestellt. Der Mann ist bekannt in der Gegend, von früher, ein “verdammter Mörder! Abschaum! Saukerl! Saukerl! “Ob das Arschloch wohl bei meinem Prozess war?“
Die Reise ist eine Rückkehr, sieben Jahre sind vergangen, die Gegend ist gleich geblieben und hat sich doch verändert, der Mann war die letzte Zeit weg, stattlich in einem gedrungenen dunklen Raum eingesperrt, in der Justizvollzugsanstalt gefangen. Vor und zurück wird hier geblickt, ein Thriller, ein Krimi, ein Psychogramm, die Romanadaption von Félicien Marceau; Marceau hat sich auch hierbei engagiert, er ist zusammen mit Verneuil und Michel Audiard beim Schreiben des Drehbuchs und somit als 'Überwacher' des Übertragens von einem Medium in das andere (und dies deutlich hervorstechend in der Art und Weise der Narration) aufgezählt. Die Handlung wird gezeigt, das Gesagte gesprochen, die Gedanken dahinter still für sich angedeutet, längere Wegstrecken von der Kamera, längere eingespeiste Texte von der Hauptperson dargeboten, eine Kongruenz oftmals nicht vorhanden, widersprüchliches offen gelegt, die Konflikte daraus resultierend visualisiert. Was ist geschehen, was ist wie warum passiert.
“Doppelt so viele Arschlöcher, entsetzliche Vorstellung.“
Es geht hier nicht bloß um die Veränderung des Mannes, sondern vor allem auch um die seiner Umwelt, der Gesellschaft allgemein, der Zivilbevölkerung, die von wenigen beeinflusst und gesteuert wird, von wenigem befeuert, von oben gelenkt und manipuliert, aber auch am unteren Ende oftmals nur den eigenen Vorteil, den eigenen Kommerz, den eigenen Gewinn kalkuliert. Früher war das genauso, vorher war nicht alles besser, “Damals glaub ich hat mein Hass begonnen.“, Erinnerungen an die Kindheit, die geprägt hat, an die Jahre dazwischen. Zwischendurch wird Sex als Waffe eingesetzt, Verführung und Geschlechtsverkehr als Rache, eine Bettgeschichte als mögliche Option, als Einstieg ins Textilgeschäft. Der Film geht von der Breite in die Tiefe, in die Erschließung, in die Ursächlichkeit des Ganzen, raus aus der nackten Bebilderung, rein scheinbar in die Gefühle.
"Die Königin Mutter tritt auf." - "Welche denn? Der Blumentopf oder die Federmiezi?"
Für einen Moment erinnert der Film an Das Unverbesserliche, bloß in ruhig, ernst und konsequent; Belmondo sitzt am Tisch der Schönen und der Reichen wie das personifizierte Falschgeld, nur verkleidet wirkend und wie zur Tarnung, zumal das Etablissement hier affektiert gezeichnet wird und mit der Nase hoch oben in die Luft bestückt. Eine trotz Beschäftigung gelangweilte Schickeria, mit Ausritt, mit Golf, mit dem Liegen am Pool zu tun, von dem 'Francoise der Teestunde' angeheitert und entzückt. Das wird ein bisschen ausufernd und konstruiert, Treffen hier und Treffen da, Politik, Polizei, Presse, Partei, Prostitution; es gibt den Versuch einer Bestechung, es gibt einen blutigen Kopfstoß, es springt wieder zur Chronologie, es geht wieder voran statt in die Vergangenheit zurück. Es wird mondäner, es wird schmutziger, es geht wieder in das Sexuelle bis nun Obszöne, es geht in den Schmutz der Stadt, die ihr wahres Gesicht dann zeigt, im Dunkel der Nacht zumindest, nach außen hin wird weiter Theater gespielt.
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Re: Jean-Paul Belmondo
Produzent Christian Fechner hier wieder als treibende Kraft, Initiator einer 'Selbstbeweihräucherung', einer Hommage, wo die Kunst das Leben spiegelt und umgekehrt. Der Schein spiegelt das Sein und umgekehrt, die ganze Welt ist eine Bühne, ein Star auf der Suche nach sich selber, inmitten der Siebziger, die Veränderungen brachten und viel Ausprobieren. Filme im Filme werden hier geboten, ein Bkick hinter die Kulissen, "Du bist hier nicht der Star, du bist nur ein Double, nicht wahr? Deswegen will ich deine Fresse hier nicht sehen." Die Leute hinter der Fassade, die schlichten Arbeiter, die schlecht bezahlten und schlecht behandelten Fußabtreter, Hunderte gibt's bei jeder Produktion davon, vorne auf dem Titel steht nur der Mann, wegen dem alle Arbeit haben und wegen dem auch alle ins Kino gehen:
Beruf wie Privat wird hier beachtet, eine Hochzeit steht an, eine Liebe in Hektik, viele Befehle und Anordnungen von oben, 'Die große Sehnsucht' und "Das private Bettgeflüster' wird gedreht. Belmondo als Mann mit vielen Gesichter und trotzdem immer eigener Persona, ein Stunt hier und ein Wortduell da. Das Pärchen ist immer auf Achse und immer in Aktion, mit Lärm und Krawall fängt der Film an, Tempo und Klamauk sind hier groß. Die Hochzeit platzt, die Flüche nehmen Vorrang, aus Liebe wird Hass, manche Sprüche alles andere als politisch korrekt, "ein Charme wie Stacheldraht", eine flotte Szene nach der anderen, großspurig, viel Lug und Trug, ein Leben von jetzt auf gleich und ohne Sicherheit und anderen Ballast, die Nichtigkeit des Ganzen ist famos. Zechen werden geprellt und Kulissen zerstört, bald macht man den Affen im Kaufhaus, ähnlich qualitätsvoll ist auch der Rest der Handlung, ist der gesamte Film.
"Ich hoffe, du bist dir klar darüber, dass ich dein Auftreten hier ziemlich geschmacklos finde."
Irgendwann wird gebechert, um dem Elend zu entgehen, der französische Kintopp scheint am Ende, die eigene Karriere ausgelagert, eine Doppelrolle eingebunden, die Prämisse neu aufgezogen. Plötzlich wird man behandelt wie ein 'ugandischer General', Szenen werden als Running Gag mit Variation meist aufgezogen, viel unter falschen Voraussetzungen, "ich wollte noch den zweiten Teil der Vorstellung sehen.", ein Hansdampf in allen Gassen, ein Springteufel, ein Aufziehmännchen, das einnert an Der Unverbesserliche, das ist Gewöhnungssache, das kann man mögen oder auch als zu viel und unpassend (es gibt abermals einen Vergewaltigungsjoke:"Wenn ich nicht den kaputten Flunken hätte, dann wäre ich jetzt rübergejumpt und hätte sie vergewaltigt, wie damals, in Carprentas." - "Was ist das für eine Story mit Carpentras? Hast du schon mal von erzählt." - "Das ist mein kleines Geheimnis. Da hab ich Jane nämlich kennengelernt. Sie wohnte im Lion d'Or. Allerdings direkt unterm Dach. Ich also wie ein Affe die Fassade hoch..." - "Und hast sie vergewaltigt?" - "Dreimal! Nur, dass ich mich die ersten beiden Male im Zimmer geirrt hab.") empfinden; tatsächlich sind die Szenen am Set - der Aufwand, der Tatendrang, die Andeutungen von Big Budget, 'Hollywood nachempfunden' - spielerisch die Besten, zudem gibt es eine völlig verrückte Einlage mit einem Tiger, wobei es dort kurz ausschaut, als wird der Darsteller einfach aufgefressen.
Was leider überhaupt nicht interessiert, später aber wieder hinzukommt, ist die Paarung mit der (natürlich attraktiven) Welch, die Liebesgeschichte quasi, die allerdings behauptet bleibt und keinerlei Funken sprühen lässt, die keine wahre Liebe bietet, sondern vielleicht als laute 'romantische' Komödie funktioniert. Welch tanzt später auf allen Hochzeiten, aus einer Romanze wird ein Rollenspiel, geht es in die "Bumsstube", zum Stelldichein, zum homophoben Versteckspiel, zur Verirrung der Gefühle. Eine Eskapade wie im Zoo, bisschen bunt, ein paar Schauwerte, einige Tricks.
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