Pro-Filmwissenschaft!

Auf der Suche nach der besten Literaturverfilmung oder dem männlichsten Schauspieler?
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Stefan Borsos
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Pro-Filmwissenschaft!

Beitrag von Stefan Borsos » Mo 16. Jul 2012, 12:30

Hallo zusammen,

ich kann mich an einen Thread im alten Forum erinnern, indem gefragt wurde, ob Filmwissenschaft sinnvoll sei. Und da ich nie richtig dazu gekommen bin, was ausführlicheres dazu zu posten, will ich's nochmal aufgreifen.

Erstmal ist die Frage natürlich Quatsch mit Soße: Selbstredend ist Filmwissenschaft sinnvoll, genauso wie alle Geisteswissenschaften es sind - oder wir können gleich mit dem Denken aufhören. ;)

Für problematisch halte ich eher folgendes: Die wissenschaftlichen Konventionen, die sich ja auch in anderen Disziplinen festgesetzt haben, zwingen einen dazu, nach einem ziemlich rigiden Schema zu arbeiten (inkl. Theorie & Fachsprache), was natürlich dazu führt, dass es für den Laien öde und unverständlich wird und letztlich immer sehr ähnliche Texte herauskommen. Ebenfalls dem wissenschaftlichen Arbeiten (und einer gewissen Pragmatik) ist geschuldet, dass man eher in die Tiefe als in die Breite arbeitet - mein persönliches Hassbeispiel hier sind die unzähligen Aufsätze zu CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON oder HERO, die irgendwann null Erkenntnisgewinn mehr bringen.

Was sich gottseidank immer weniger finden lässt, sind Arbeiten, die ihrem Gegenstand eine Theorie aufzuzwingen versuchen; da haben Bordwell und auch die Cultural Studies einiges verändert. Und hier würde ich ohnehin sagen, dass sowas eher ein Zeichen schlechten wissenschaftlichen Arbeitens ist als ein Problem der Wissenschaft selbst. Tatsächlich lässt IMHO so einiges, was in der Filmwissenschaft publiziert wird, zu wünschen übrig bzw. ist sogar ziemlich übel, auch weil die Kenntnis des Gegenstands fast immer eine nachgeordnete Rolle spielt; mein Lieblingsbeispiel: das HK-Buch von der Rehling. ;)

Worum's mir aber jetzt eigentlich ging: Zumindest ein filmwissenschaftlicher Bereich könnte auch hier von Interesse sein. Der Strang der institutionell-ökonomischen Filmgeschichtsschreibung. Ein hübsches und auch eher auf ein breiteres Publikum ausgelegtes Beispiel ist Thomas Schatz' The Genius of the System über das Studiosystem Hollywoods. Gerade Studiogeschichte ist ein ganz zentrales Thema (mit Vorliebe für Fallbeispiele). Das meiste in diesem Bereich ist auch problemlos runterzulesen und IMHO sogar recht spannend. Den Schatz z.B. konnte ich (ähnlich wie die Biskind-Bücher) einfach nicht weglegen. Ähnlich toll ist ein schöner Aufsatz zu den US-Ko-Produktionen von Golden Harvest aus den 70ern. Es gibt da einiges zu entdecken.

Cheers,

Stefan

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Mr. Vincent Vega
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Beitrag von Mr. Vincent Vega » Mo 16. Jul 2012, 19:14

Stefan Borsos hat geschrieben:Worum's mir aber jetzt eigentlich ging: Zumindest ein filmwissenschaftlicher Bereich könnte auch hier von Interesse sein.
Im Antiintellektuellenverein? :)
»Hey, ich kenn das, man hat nen knallvollen Terminplan und es ist 23 Uhr nachts und sonst hat niemand mehr offen und und und...« (Thorsten H.)

Stefan Borsos
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Beitrag von Stefan Borsos » Mo 16. Jul 2012, 23:17

Die Hoffnung stirbt zuletzt, ich bin Idealist (und glaube auch daran, dass es hier irgendwann doch noch jemanden geben wird, der sich YUDDHAM SEI anschaut)! ;)

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sweetlemon
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Beitrag von sweetlemon » Di 17. Jul 2012, 00:21

Stefan Borsos hat geschrieben: YUDDHAM SEI
Infos bitte!

Stefan Borsos
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Beitrag von Stefan Borsos » Di 17. Jul 2012, 01:01

Ein tamilischer Serienkiller-Film, für den ich, so oft es geht, Propaganda betreibe. :D IMHO eine DER Entdeckungen in letzter Zeit! Zum einen besitzt der Film einen Plot, der lange Zeit in fast jede Richtung gehen könnte (inkl. Kartons mit Körperteilen, einem schwarzgekleideten Motorradfahrer & einem Angreifer mit Affenmaske). Zum anderen führt Regisseur Mysskin seinen in ANJATHE und NANDHALALA entwickelten Stil zum vorläufigen Höhepunkt. Stil bedeutet hier lange, komplexe Scope-Einstellungen mit viel Kamerabewegung, eine sehr eigenwillige Kadrage (entweder Totalen oder Aufnahmen von Beinen u.ä., extreme Ober- und Untersichten), eine spannende Nutzung von Off-Screen-Raum sowie speziell in YUDDHAM SEI eine noirige Lichtsetzung. Das alles manchmal an der Grenze zum Manierismus und auch nicht immer technisch perfekt umgesetzt, aber dennoch so kraftvoll und spannend. Obwohl YUDDHAM SEI ein paar Dialoge weniger vertragen könnte (und insgesamt recht kompliziert ist), vertraut Mysskin auf das Bild, beispielhaft in einer ausgedehnten Sequenz in der Mitte des Films, in der der Protagonist ausgeschaltet werden soll. Ich weiß nicht, wie oft ich mir das schon angeschaut habe. Aufbau, Timing & Rhythmus (vor allem der finale Messerkampf auf einer Brücke) sind IMHO der totale Wahnsinn. Schon ANJATHE, obwohl insgesamt etwas schwächer und melodramatischer, hatte 'ne Sequenz, wo die Kamera in einem Take nur den Beinen/Füßen der Figuren folgt.

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diceman
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Beitrag von diceman » Di 17. Jul 2012, 01:29

Gesetz den Fall ich wäre jetzt milde angefixt ... :? ... was gäb's denn da auf dem internationalen Markt für empfehlenswerte Scheibchen?
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Stefan Borsos
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Beitrag von Stefan Borsos » Di 17. Jul 2012, 01:51

Scheibchen ist gut. Ich hab zwar nicht nachgeschaut, aber es dürfte 'ne indische DVD geben (keine Ahnung, ob mit oder ohne UT). Davon abgesehen gibt's 'ne britische DVD von Ayngaran (die ich selbst habe). Das läuft allerdings unterm Radar von Amazon, Play usw. und gibt's nur im Ayngaran-Shop (ist aber total legal). Aber dort nur diese eine DVD zu bestellen lohnt wohl nicht wirklich (rund 8 Pfund plus Versand). Mal schauen, vielleicht gibt's passend zum Artikel in CineAsia auch 'ne Verlosung. Bin ja auch dran interessiert, dass sich die frohe Kunde verbreitet. ;) Unser Layouter, der zuvor noch NIE einen indischen Film gesehen hat, fand ihn jedenfalls fantastisch (hat mich selbst überrascht :D ). Aber Vorsicht: NICHT den Trailer schauen, der ist mit seinem albernen Voice-over totale Scheisse. :!:

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sweetlemon
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Beitrag von sweetlemon » Di 17. Jul 2012, 10:55

Notiert. Ich werd's erstmal bei unserem Katakomben-Afghanen versuchen.

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Beitrag von Thorsten Hanisch » Di 17. Jul 2012, 15:34

Stefan Borsos hat geschrieben:ich kann mich an einen Thread im alten Forum erinnern, indem gefragt wurde, ob Filmwissenschaft sinnvoll sei
Hatte das wirklich jemand gefragt? :)

Also ich halte Filmwissenschaft ebenfalls für sehr sinnvoll. Das Problem ist nur, und, wie ich die Tage erfahren habe, ist das selbst hier in der Provinz so, dass sie schnell zur Nase-Hoch-Attitüde verleitet. Da werden dann die gängigen Theorien nach dem Motto "Was nicht paßt, wird passend gemacht" einfach überall draufgeklatscht und offenkundlich miese Filme wie ROLLERBALL zu Jahrhundermeisterwerken verklärt, was weder aus Otto-Normalseher- noch aus wissenschaftlicher Perspektive viel Sinn macht.
»Wenn man der Klügste im Raum ist, ist man im falschen Raum« (K. Lauterbach)

https://diezukunft.de/users/thorsten-hanisch

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Julio Sacchi
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Beitrag von Julio Sacchi » Di 17. Jul 2012, 15:41

McTiernans ROLLERBALL. So viel Zeit muss sein.

Mir ist Filmwissenschaft im Studium unfaßbar auf die Nüsse gegangen.

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