Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mo 11. Jan 2021, 15:04

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DU LEBST NOCH 105 MINUTEN
Als Kind blieb mir am Schluß dieses Nervenzerrers fast das Herz stehen! Die "expanded Version" der dreißigminütigen Hörspielvorlage verkompliziert den Fall, ohne dabei auch nur eine Sekunde den Fuß vom Gas zu nehmen. Die am Anfang noch rästelhafte Konstellation der handelnden Person wird über packende Rückblenden nach und nach entschlüsselt, wobei sich auch die Sympathien ständig verschieben und man nicht immer gewillt ist, Opfer und Täter hundertprozentig zuzuordnen. Der Exkurs nach Staten Island ist so beunruhigend und unwirklich gefilmt, daß man ihn so auch in einem Horrorfilm vorfinden könnte. Schauspielerisch gesehen werden hier einige Glanzpunkte gesetzt, neben den Stars auch von jungen Charaktergesichtern wie William Conrad und Ed Begley, aber was nachhaltig beeindruckt, ist das unnachgiebige Tempo, mit dem man hier in den Abgrund gestürzt wird, und das Psychogramm eines seelisch gestörten, womöglich mißbrauchten Menschen. Top notch.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Di 12. Jan 2021, 09:24

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ZIEL MOND (1950)
Ein früher Vertreter des "erwachsenen" Science-Fiction-Films, der heute bescheiden wirken mag, mit seinen entzückenden oscar-gekrönten Effekten und der säuerlichen Kalter-Krieg-Paranoia ("Who conquers the moon, controls the earth!"). Aber es ist schon ganz erstaunlich, wieviel Robert Heinlein korrekt ausgedacht hat; obwohl der Mondflug teilweise eher wirkt wie ein gemütlicher Campingtrip, stimmt überraschend viel mit der späteren Realität überein. Die Mond-Hintergründe sind auch sehr hübsch geraten. Kniescheibenschuß aber der wie so oft ultranervige Comic Relief Character, wie so oft aus Brooklyn und nur Baseball und "Gals" im Kopf.
Highlight des Films: Die Erklärung der geplanten Mondlandung und ihrer Tücken mit Woody Woodpecker!

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mo 18. Jan 2021, 10:01

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GEGEN JEDE CHANCE (1984)
OUT OF THE PAST als Hüttenkäse für den Sonntagabend. Von Hackford gewohnt aufwendig und ansprechend inszeniert, aber von der Film-Noir-Vorlage zur haarsträubenden Schmonzette verbrämt. Brigdes sieht megageil aus, ist als verletzter Football-Loser aber nicht die hellste Kerze auf der Torte. James Woods, mal wieder eine vorzüglich drahtige Schlange, zieht ihn zuverlässig ins Verderben. Und Rachel Ward macht mal wieder auch den frommsten Priester heiß. Statt Krimi gibt's aber Leidenschaft auf recht kleiner Flamme, jede Menge Plot und keine Spannung und wer würde bitte Richard Widmark für irgendwas anderes als den Oberarsch halten? Der Score von Michel Colombier sägt unablässig an den Nerven, im fußlahmen Showdown hält man ihn kaum noch aus, da hat man schon fast vergessen, wie lustig es war, als Woods mit Bridges telefonierte und Colombier sofort romantisch die Klampfe zupft! Nach einer letzten halben Stunde in Absurdistan löst sich der fade Film in Traumschiff-Wohlgefallen auf und endlich darf Phil Collins ran. KÄSE!

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Di 19. Jan 2021, 11:25

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IN GEHEIMER KOMMANDOSACHE (1955)
Eindrucksvolle Aufnahmen antiquierter Kriegsmaschinerie und überdurchschnittliche Spezialeffekte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese achte Zusammenarbeit James Stewarts mit Regisseur Anthony Mann vor allem eins ist: Schwer verdauliche Militärpropaganda mit Schwerpunkt auf der atomaren Drohkulisse. Das wäre als schön bebildertes Zeitzeugnis ja noch halbwegs zu relativieren, aber wenn Stewart seine Pflichten über die Bedürfnisse und Sehnsüchte seiner Frau June Allyson stellt und diese sich schließlich mit dem einsamen Kasernenleben abzufinden bereit ist, platzt schon fast die Hutschnur. Ohne den zuverlässigen und für sich einnehmenden Hauptdarsteller wäre das Ganze kaum auszuhalten, so muß man Manns Film aber grundsätzliches Unterhaltungspotenzial zugestehen.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Do 28. Jan 2021, 08:49

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DER GEBROCHENE PFEIL (1950)
Bahnbrechender Western, der als erster Film die Indianer nicht als jodelnde Wilde darstellte. Die naturgegebene Integrität James Stewarts lässt jeden Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Annäherung zwischen Cowboy und Cochise verschwinden. Nur die Annäherung des damals 41jährigen Stewart an die 16jährige Debra Paget sorgt für leichtes Stirnrunzeln. Ansonsten lässt sich Delmer Daves weder von Canyon-Panoramen noch überflüssigen Western-Klischees ablenken, er interessiert sich für seine Botschaft, und die ist zutiefst humanistisch. Ein großer Film, der trotz seines erschütternden Finales mit einem Hoffnungsschimmer endet.
In Wirklichkeit war das alles leider ganz anders.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mi 3. Feb 2021, 13:36

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ZWEI RITTEN ZUSAMMEN (1961)
John Ford beackert nochmal das Feld, das er mit THE SEARCHERS eigentlich schon restlos abgeerntet hat: Thema ist die Befreiung von Gefangenen der Komantschen. Jimmy Stewart spielt hier, recht krass gegen seinen Typ besetzt, nicht den ehrenhaften Menschenfreund, sondern einen überaus zynischen und unempathischen Marshal, der sich von einer Rettungsaktion allenfalls Geld, aber sicher keinen Erfolg verspricht. Richard Widmark ist der aufrechte Army-Lieutenant, der ihn anheuern muß. Die zwei ungleichen Buddies liefern sich ein paar verbale Schlagabtäusche, die von knackigem Dialogwitz bis zu offener Frauenfeindlichkeit und Rassismus und wieder zurück reichen. Der Film wechselt auch sonst ständig die Tonlage; was mitunter als freundliche Buddy Comedy durchaus Laune macht, wird mittendrin kurz zum handfesten Melodrama und dann wieder zur Alberei, mündet aber in ein insgesamt erschütternd tragisches Finale (plus wirrem Happy Ending, sort of). Mir hat der lustlose Spätwestern irgendwie genau deshalb gut gefallen; die Abgegessenheit und der Zynismus der Haupt- und vieler Nebenfiguren scheint mir ein treffenderes Bild des Wilden Westens abzugeben als die schmucken Cowboys, die man sonst so zu sehen bekommt. Die Chemie zwischen dem hervorragenden Stewart und seinem überzeugenden Mitspieler Widmark schlägt auch ordentlich Funken. Ein fieser Film, der letztlich die Westerners noch schlechter da stehen lässt als Häuptling Woody Strode und seine Rapers.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mo 8. Feb 2021, 15:43

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DER ALTE MANN UND DAS MEER (1958)
Diese Hemingway-Adaption dürfte eine der textgetreusten, ja wörtlichsten Literaturverfilmungen aller Zeiten sein. Ausgiebig wird im Off aus der Novelle vorgelesen (im Original kurioserweise von Hauptdarsteller Tracy selbst), was der Film dann brav bebildert, so daß man sich gelegentlich vorkommt wie in einem gepimpten Hörbuch. Erstaunlich ist dabei, wie gut das - wohl auch dank Hemingways poetischer Sprache - tatsächlich funktioniert. Da sich Sturges' (von Fred Zinneman begonnener) Film wirklich ausschließlich auf die Vorlage verlässt und sie nicht zwecks Filmtauglichkeit mit zusätzlichen Figuren und Konflikten anreichert, kann man hier von einem der selten Beispiele für den Versuch sprechen, im Rahmen des Studiosystems so etwas wie Kunst herzustellen. Dank der traumschönen Bilder von James Wong Howe entwickelt der Film regelrechte Poesie. Um so mehr schmerzen die aus Fremdquellen eingeschnittenen Fisch- und Unterwasserbilder, die so gar nicht mit dem Rest zusammenpassen wollen und den Film, wie auch die teils wenig überzeugenden Rückpros, immer wieder unrund und "sloppy" (Sturges) wirken lassen. Dennoch: Ein zeitlos schönes, existenzialistisches Drama um Mann und Fisch, packend und anrührend; am schönsten immer dann, wenn Dimitri Tiomkin nicht mal wieder sein Orchester zum Tschingderassatröt anheizt.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mi 24. Feb 2021, 08:49

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DER KUSS VOR DEM TODE (1956)

Robert Wagner, mutig gegen seinen damaligen Typ besetzt (vielleicht in weiser Vorausschau, aber ich will nicht unken), als eiskalter Manipulator mit Tunnelblick auf den ersehnten Wohlstand. Dabei geht Mutters kriegsdekorierter Sohn sogar über Leichen, stellt sich dabei allerdings nicht allzu clever an. Kein ausgesprochen ambitioniert inszenierter Film, aber einer, der seine Arizona-Locations und das Breitwandformat eindrucksvoll einzusetzen weiß.
Der Film ist James Deardens Neuverfilmung der Ira-Levin-Vorlage aus den 90ern in jeder Hinsicht haushoch überlegen.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Fr 26. Feb 2021, 09:16

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UNDERCOVER (1999)

Erbärmlich inszenierter, schraubig montierter und arbeitsscheu geschriebener Undercover-Krimi. Hat man sich mit diesen Unzulänglichkeiten abgefunden, wird man immerhin mit starken Darstellerleistungen von Stanley Tucci und dem bedrohlich-magnetischen LL sowie einem attraktiven Support (Pam Grier, David Patrick Kelly, Nia Long) belohnt. Epps spielt an sich sehr gut, ist mir aber schon als Rookie Cop viel zu gangsta. IN TOO DEEP umgeht einige Klischeefallen des Genres und braucht auch keine Action für seine Story. In mindestens einer Szene beschreibt er den Identitätsverlust eines gebeutelten Undercover-Bullen sogar recht anschaulich. Das hätte ein richtig guter Film werden können.

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Re: Julio Sacchi - Dynamit und fromme Sprüche

Beitrag von Julio Sacchi » Mo 1. Mär 2021, 10:59

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55 TAGE IN PEKING (1963)

Mit gewaltigem Aufwand in Spanien (die Anzahl der benötigten chinesischstämmigen Statisten führte dazu, daß sämtliche China-Restaurants im größeren Umkreis während der Aufnahmen geschlossen blieben!) gedrehtes Drama rund um den Boxeraufstand. Sämtliche Besatzungsmächte, allen voran die amerikanischen und britischen Okkupanten, werden als rechtschaffen und edel dargestellt, während die Chinesen verschlagene Ränkeschmiede oder gesichtslose Angriffmassen bleiben. Das macht den Film nachgerade ungenießbar. Die persönlichen Geschichten rund um das Star-Trio bleiben belanglos bis überflüssig, Heston ist extrem unsympathisch, Niven gewohnt distinguiert, und Ava Gardner muß mit Standbild und ohne ihre Filmpartner an ihrer Seite verenden: Aufgrund ihrer Allüre und der alkoholbedingten Ausfälle wurde sie flugs aus dem Film geschrieben. Zu allem Überfluss sägt Dimitri Tiomkin mal wieder mit einem unsäglichen Tschingderassatröt an den Nerven. Ein echtes Plus aber die Bauten, der schiere Umfang des Produktionsvolumens und die pompösen Actionszenen.

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