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Von Richard Laymon bis zu Tolstoi: Die Abteilung für Leseratten.
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Pow Wow
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Re: Now Reading

Beitrag von Pow Wow » Mo 18. Mai 2020, 16:09

Nr. 2 wäre das hier

M - Sohn des Jahrhunderts von Antonio Scurati

Eine Art Dokufiction, mit aus Tätersicht, angereichtert mit zeitgenössichen Dokumenten, ist das hier eine Nacherzählung vom Aufstieg Mussolinis und endet mit seiner Machtübernahme im Italien der 20er. Bisweilen spannend wie ein Krimi, schnörkellos, nuanciert, aber mit der nötigen Distanz. Parallelen zur heutigen politischen Situation stellen sich von selbst ein, werden aber nicht forciert. Hab' auch einiges gelernt, z.B. über die Einrichtung einer faschistischen Mini-Republik im heutigen Rijeka/ Kroatien durch den Schriftsteller Gabriele D'Annunzio. Wandelt durch die Wahl der Mittel immer wieder mal auf Messers Spitze, hab's aber gerne und mit Erkenntnisgewinn gelesen.
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SvenT
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Re: Now Reading

Beitrag von SvenT » Mo 18. Mai 2020, 16:29

Hilary Mantels Cromwell-Trilogie will ich auch mal am Stück lesen. Den ersten Roman hatte ich vor Jahren angefangen, dann aber aufgehört, weil ich hörte, dass es drei Romane werden. Irres Recherchewerk, stilistisch und atmosphärisch natürlich allererste Güte. Soweit hatte ich mich schon festgelegt.
Zu D'Annunzio gab letztes Jahr wegen des 100. Jahrestages des Fiume-Abenteuers einiges zu lesen. Spannend und irre! Ich wusste schon einiges, aber es wurde doch noch einiges an Wissen zusammengetragen in den letzten Jahren. Mit dem Roman machste mich jetzt neugierig …

Pow Wow
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Re: Now Reading

Beitrag von Pow Wow » Mo 18. Mai 2020, 16:43

Hab' mir jetzt auch so 'n deutsches Sachbuch zum Fiume-Staat geholt. Komplett gaga.
Und M loht sich auf jeden Fall. Liest sich trotz Länge superflott. Wenn Dich das Thema auch interessiert, kannst hier gar nix falsch machen...

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Julio Sacchi
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Re: Now Reading

Beitrag von Julio Sacchi » Mo 18. Mai 2020, 16:49

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Neulich gelesen, und beim besten Willen nicht mehr sicher, ob's nicht tatsächlich zum ersten Mal war.
Sehr interessantes und durchaus komplexes Buch, mit dem die Bronson-Verfilmung sehr wenig und die Willis-Verfilmung gar nichts zu tun hat. Hauptfigur Paul Benjamin (nicht Kersey) ist Wirtschaftsprüfer, nicht Architekt, und seine Frau und Tochter werden niedergeschlagen, nicht vergewaltigt; die Gewalttat als solche wird von Garfield ohnehin komplett ausgespart. Es geht bis 50 Seiten vor Schluß auch gar nicht um Benjamins Tätigkeit als Vigilante, sondern seine vom Rache- und Gerechtigkeitswahn bis zur Psychose getriebene Entfremdung von seiner Umwelt. Man beginnt auch bald zu ahnen, daß er nicht sonderlich viel von seiner Frau gehalten oder sich zumindest nicht dementsprechend verhalten hat und daß sein Rachedurst ganz andere Ursachen hat. Benjamin steigert sich in Paranoia und Verfolgungswahn und verliert zunehmend die Fähigkeit, am normalen Leben teilzunehmen, bis er schließlich in Aktion tritt. Am Ende des Buchs passiert etwas sehr Interessantes. Paul liest einen langen Artikel über den Vigilante (also sich selbst) im New Yorker. Dort wird der Selbstjustiz-Antiheld analysiert und demontiert. Das geht über mehrere Seiten so. Am Ende legt der so Analysierte die Zeitschrift verächtlich beiseite. Das hat mich an die Antiklimax von PSYCHO erinnert, wo der Psychiater detailliert Norman Bates' Psychose erläutert. Das ist schon ein sehr spannender Kunstgriff. Danach kommt es noch zu einem eisigen (offenen) Ende.
DEN Film hötte ich gern gesehen.

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SvenT
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Re: Now Reading

Beitrag von SvenT » Mo 18. Mai 2020, 16:55

Ja, wäre ein guter Job für Paul Schrader gewesen.

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Julio Sacchi
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Re: Now Reading

Beitrag von Julio Sacchi » Mi 20. Mai 2020, 10:04

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Der an sich toll gewählte Titel ist ein wenig irreführend, da es sich bei den abgehandelten Personen zum großen Teil um Filmemacher handelt, die wohl niemand ernsthaft der Blaxploitation zuordnen würde (Richard Pryor, Sidney Poitier, :crazy: Prince :crazy: ). Aber irgendwann wird klar, daß es Corson um afroamerikanische Directors nach der Zeit der Blaxploitation geht.
Dabei habe ich Wissenswertes über Menschen erfahren, über die ich schon lange gern mehr wissen wollte (Jamaa Fanaka zum Beispiel), aber auch über solche, die ich gar nicht auf dem Schirm hatte: Michael Schultz (CAR WASH, THE LAST DRAGON) etwa hielt ich des Namens wegen immer für einen Weißen. Außerdem wird bei Fred Williamson sehr schön seine Stellung als unabhängiger Produzent und Filmemacher herausgearbeitet und tatsächlich fand ich gerade den Blick auf die Filme von Prince erhellend und erfrischend.
Allerdings ist mir das Buch insgesamt zu trocken, es liest sich schon sehr wie eine universitäre Arbeit; vieles wird wiederholt und daher redundant, außerdem erleichtern über 500 (!) Fußnoten das Lesen auch nicht gerade. Das Durchwühlen einer immensen Bibliographie bringt am Ende auch nichts, wenn THREE TOUGH GUYS unter "Spaghettiwestern" wegsortiert wird :crazy: Aber gut, immerhin keine Boops.
Trotzdem interessant, vielen Dank an Stockl für den Tipp.

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Re: Now Reading

Beitrag von Pow Wow » Fr 22. Mai 2020, 13:23

IF IT BLEEDS von Stephen King

Der neueste King ist eine Kurzgeschichtensammlung.
Es gibt eine Mär um ein mysteriöses iPhone (Mr. Harrigan's Phone), die sich eher wie so ein Young Adult/ Goosebumps-Grusler liest und mir irgendwie am wenigsten gefallen hat, alles hübsch aber schal. Dann eine metaphysische Apokalypse mit Twist (The Life of Chuck), die kürzeste und beste Story. Hauptteil ist die titelgebende Novelle mit Holly Gibney, die man aus der Mercedes-Trilogie und Outsider kennt. Gewohnt routinierte Killerstory, die wohl irgendwie ein Outsider-Universum etablieren will? An sich aber mehr oder weniger einfach ein Aufguß der Romanvorlage. Und schließlich endet's mit Rat, einer Monkey's Paw Variation, über einen Schriftsteller mit Writer's Block. Nicht überraschend, aber King kann sowas. Unterm Strich etwas altersmild aber solide, dennoch muss man nicht alles stehen und liegen lassen, um das sofort zu lesen.
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Re: Now Reading

Beitrag von Pow Wow » Di 2. Jun 2020, 10:42

VOR REHEN WIRD GEWARNT (DANGER FROM DEER) von Vicki Baum

Schwarzhumoriger, psychologisch sehr genau beobachteter Noir um ein scheues Reh, das mit beständig sanftem Druck ihren Mitmenschen das Leben zur Hölle macht. Vorgetäuschte Hilflosigkeit als Terrorstrategie. Sehr amüsante, teils allerdings etwas schwatzhafte Femme Fatale-Mär, von der Exil-Österreicherin Vicki Baum im Original auf Englisch verfasst, habe allerdings die deutsche Übersetzung gelesen. Geschliffene Populärliteratur aus den 50ern, die zwar nicht an die Größen des psychologischen Realismus wie James oder Wharton heranreicht, aber grell und boshaft verschmitzt funkelt.
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Re: Now Reading

Beitrag von Don Kolleone » Di 9. Jun 2020, 14:36

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Nachdem ich im letzten Jahr hier kurz das Twin-Peaks Büchlein zu FBI-Agent Dale B. Cooper besprach, schnappte ich mir einige Monate später Das geheime Tagebuch der Laura Palmer von Jennifer Lynch, Tochter von David Lynch. Deutsche VÖ 1991. Hardcover mit Schutzumschlag. 253 Seiten.

Das Buch kommt ebenfalls im Tagebuchformat daher, wirkt in den alltäglichen Ausführungen der jungen Laura Palmer dabei aber oft beliebig und repetitiv - wenn denn nicht immer wieder die kleinen Hinweise auf den Missbrauch durch den ominösen Bob eingestreut wären.

Die heranwachsende Laura entdeckt irgendwann ihre sexuellen Obsessionen und Dämonen, was mir ein paar Fragezeichen ob der damals beim Verfassen des Buches ca. 20jährigen Jennifer Lynch auf die Stirn trieb. Sie wird wohl wissen wovon sie da schreibt oder phantasiert.

Hätte ich das Buch jedenfalls Anfang der 90er gelesen, wäre mir wohl die seltsam destruktive Seite junger Frauen weniger verschlossen geblieben..
"Krieg ist wie Kino. Vorne flimmerts, hinten sind die besten Plätze." - Arnim Dahl

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Re: Now Reading

Beitrag von Pow Wow » Di 9. Jun 2020, 15:06

Ich habe von dem Tagebuch noch die dt. Originalausgabe in Hardcover ... fand ich damals scary :o

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