Now Reading

Von Richard Laymon bis zu Tolstoi: Die Abteilung für Leseratten.
Antworten
Benutzeravatar
diceman
Beiträge: 8994
Registriert: Mo 7. Mai 2012, 21:21
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von diceman » Mo 20. Jan 2020, 23:23

cat.jpg

“People have to talk about something just to keep their voice boxes in working order so they'll have good voice boxes in case there's ever anything really meaningful to say.”
CAT'S CRADLE (1963)
Dr. Felix Hoenikker, der fiktive Erfinder der Atombombe, hat eine weitere, noch furchteinflößendere Waffe im Ärmel: eine chemische Substanz names Ice 9, der das Potential innewohnt, die gesamten Wassermassen des Planeten zu Eis erstarren zu lassen. Die Suche nach Hoenikker und seiner Superwaffe führt einen Journalisten (den Erzähler der Geschichte) zu Hoenikkers exzentrischen Kindern, dem Propheten Bokonon, und einen Diktator über einen vergessen Inselstaat.
In seiner satirischen Novelle erforscht Vonnegut Mechanismen, mit denen Weltpolitik gemacht wird, beleuchtet das Phänomen des Wettrüstens, erklärt wie Religion funktioniert, wie Wissenschaft gemacht wird (Science is magic that works). Und argumentiert warum Diktatur eigentlich eine ganz dufte Erfindung ist.
[+] Spoiler
Oder auch nicht.
CAT'S CRADLE ist schlanke 200 Seiten lang und in 127 Abschnitte unterteilt, was dazu verleitet, das Teil in einem Rutsch wegzulesen ("nur noch ein Kapitel"). Vonneguts Stil ist trocken, aber pointiert und liefert auf fast jeder Seite eine kleine Überraschung - mal bringt er einen zum Nachdenken, mal zum Lachen, und hin und wieder führt er den geneigten Leser aufs Glatteis und zeigt ihm die lange Nase. Philosophische Überlegungen werden auf überraschend alltägliche Metaphern runtergebrochen, und was uns eben noch logisch erschien, führt er mit einem Satz ad absurdum.
Am Ende war ich mir noch nicht sicher ob das Werk von humanistischer Denke zeugt, oder doch ein zynischer Dekonstukteur dahinter steckt. Etwas von beidem, wahrscheinlich. Jedenfalls hat er mich prächtig unterhalten.
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Benutzeravatar
Joachim Bauer
Beiträge: 12042
Registriert: Mi 20. Jun 2012, 21:12

Re: Now Reading

Beitrag von Joachim Bauer » Mo 20. Jan 2020, 23:36

Was Du da beschreibst, klingt nicht nach einer Novelle. Auch scheinen mir 200 Seiten etwas zu lang dafür zu sein. Übersetzt das englische novel nicht immer mit Novelle. ;)
Die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind, die sollen dann sich angewöhnen, das Deutsch zu lernen. (Mario Basler, rhetorisch geschulter, ehemaliger Fußballprofi)

Benutzeravatar
diceman
Beiträge: 8994
Registriert: Mo 7. Mai 2012, 21:21
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von diceman » Mo 20. Jan 2020, 23:37

Ausnahmsweise kein Anglizismus. Novel != Novelle, ist mir bekannt. :P
Für eine echte "Novel" schien mir das Werk tatsächlich zu episodisch und kurzatmig - zwar gibt es einen roten Faden und weitgehend chronologischen Handlungsverlauf, aber einen Spannungsbogen und Charaktere im herkömmlichen Sinne bleibt Vonnegut einem schuldig. Er selbst beschreibt sein Werk als Mosaik, und jedes Stück des Ganzen als eigenständigen Witz. Oder so ähnlich.
Ist aber auch egal, irgendwie. Meinetwegen ist es ein Roman. In jedem Fall aber ein "Gutes Buch".
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Benutzeravatar
Joachim Bauer
Beiträge: 12042
Registriert: Mi 20. Jun 2012, 21:12

Re: Now Reading

Beitrag von Joachim Bauer » Mo 20. Jan 2020, 23:50

Dann ist es aber erst recht keine Novelle. Einen Roman schließen Deine Aspekte hingegen nicht unbedingt aus, in der modernen Literatur kann dessen Erzählung episodisch, auch fragmentarisch sein.
Die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind, die sollen dann sich angewöhnen, das Deutsch zu lernen. (Mario Basler, rhetorisch geschulter, ehemaliger Fußballprofi)

Benutzeravatar
Joachim Bauer
Beiträge: 12042
Registriert: Mi 20. Jun 2012, 21:12

Re: Now Reading

Beitrag von Joachim Bauer » Mo 20. Jan 2020, 23:53

diceman hat geschrieben:
Mo 20. Jan 2020, 23:37
Oder einigen wir uns auf "Gutes Buch".
Kann ich nicht beurteilen; ich kenne es ja schließlich nicht. :P Aber ich glaube Dir da erstmal. ;)
Die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind, die sollen dann sich angewöhnen, das Deutsch zu lernen. (Mario Basler, rhetorisch geschulter, ehemaliger Fußballprofi)

Benutzeravatar
diceman
Beiträge: 8994
Registriert: Mo 7. Mai 2012, 21:21
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von diceman » Di 21. Jan 2020, 00:03

Ja, laut Wikipedia ist "Cat's Cradle" eine novel.
Ich finde aber, ehrlich gesagt, solche Kategorien zweitrangig, daher verzeihe man mir, wenn ich leichtfertig mit den Begriff umgehe; was man wiederum als Zeichen sehen kann, wie fließend solche Definitionen sind - und manche Geschichten so außergewöhnlich, daß sie sich in kein etabliertes Korsett zwängen lassen. Wichtig ist doch im Endeffekt, ob da eine gute Geschichte geschrieben steht, und ob die gewählte Form der Geschichte angemessen ist. ;)
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Benutzeravatar
Joachim Bauer
Beiträge: 12042
Registriert: Mi 20. Jun 2012, 21:12

Re: Now Reading

Beitrag von Joachim Bauer » Di 21. Jan 2020, 00:08

Schreib Dir das jetzt nicht schön. Aus einem Film mit nicht linearer Handlung und 80 Minuten Laufzeit wird deswegen auch kein Videoclip. :P
Die Spieler, wo dieser Sprache nicht mächtig sind, die sollen dann sich angewöhnen, das Deutsch zu lernen. (Mario Basler, rhetorisch geschulter, ehemaliger Fußballprofi)

Benutzeravatar
diceman
Beiträge: 8994
Registriert: Mo 7. Mai 2012, 21:21
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von diceman » Fr 24. Jan 2020, 11:51

jessica.jpg

THE POSSESSION OF JESSICA YOUNG (1982)
Spielt im selben Universum wie DESECRATION OF SUSAN BROWNING und THE DEVIL AND LISA BLACK, beginnt aber einen neuen Zyklus mit frischen Charakteren: die titelgebende Jessica Young ist nach einem traumatischen Ereignis auf der Flucht, und weil ihre telekinetischen Fähigkeiten eine Gefahr für die Organisation darstellen, setzt diese Jessicas 17jährige Schwester auf sie an. Thematisch bleibt Russ Martin seinem Steckenpferd treu, also einmal mehr werden junge, hübsche Frauen mittels schwarzer Sexmagie in Abhängigkeit gehext, während die global operierende satanische Organisation im Hintergrund die Fäden zieht - Russ Martin schöpft mit voller Kelle aus dem Exploitation-Fundus der 80s Satanic Panic-Welle.
Gut lesbarer Pulp mit wankelmütigen Charakteren, dessen sexy Elemente primär einen French Maid-Fetisch bedienen, und bei dem ich mir wünschte, er würde mehr over-the-top ablaufen, und nicht ganz so hoffnungslose Aussichten für seine Protagonistinnen bereit halten; dabei zwar nicht Laymon-fies, aber doch recht edgy, was Martin seinen Frauen an Psycho-Terror zumutet. Das superfiese Ende knallt dann nochmal gehörig und mündet in einen Cliffhanger. Weiter gehts in THE OBSESSION OF SALLY WING (liegt ebenfalls vor).
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Benutzeravatar
H3LLXIII
Beiträge: 831
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 13:24
Wohnort: Würzburg
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von H3LLXIII » Do 20. Feb 2020, 21:50

Habe mir heute „The Great War for Civilisation“ des Journalisten Robert Fisk gekauft. Geht um seine Karriere im Nahen Osten und darum, was in seiner Zeit dort so alles passiert ist. Ist zwar schon ein paar Jahre älter, aber hörte sich ganz spannend an. Und ist auch ein echter Wälzer mit seinen 1500 Seiten. Aber da mich die Bandscheibe eh grad wieder an die Couch fesselt, wird es zumindest nicht langweilig.
Mein Blog über Filme, Reisen und allerlei anderen Zeitvertreib

https://frankonianzombie.wordpress.com

Benutzeravatar
diceman
Beiträge: 8994
Registriert: Mo 7. Mai 2012, 21:21
Kontaktdaten:

Re: Now Reading

Beitrag von diceman » Do 16. Apr 2020, 18:10

blood.jpg

BLOOD MERIDIAN (1985)
Aye, das ist harter Stoff. Harter Inhalt und hart zu lesen, back to school-hart. Henry Miller, NEUROMANCER und SONG OF ICE AND FIRE fand ich zugänglicher. Irgendwo angesiedelt zwischen Hemingway, Faulkner und biblischer Rhetorik berichtet McCarthy über die Abenteuer einer zusammengewürfelten Truppe aus Kopfgeld-Söldnern und Skalpjägern im Wilden Westen, und das ist gleichermaßen nihilistisch und brachial, wie poetisch. McCarthys Sprache ist ein absolut mächtiges Werkzeug, mit dem er Bilder von eindrucksvoller Größe und Schönheit zum Leben erweckt, inklusive Exkurse in existenzialistische Philosophie, und dann wieder mit Schilderungen von Taten von so unvorstellbarer Grausamkeit schockt, daß man schon das Alte Testament bemühen muß um Vergleichbares zu finden.
Ich saß lange dran, es zieht sich zwischendurch (THE ROAD liest sich danach wie'n flotter Pulp), aber empfehlenswerte Lektüre mit Nachhall ist das auf jedenfall. Ich, mit meinem durchaus praktikablen Englisch, bin an meine Grenzen gestoßen, habe mir daher angewöhnt, nach jedem Kapitel die zusammengefassten Plot Points auf www.litcharts.com nachzuarbeiten (praktisch: Interpretationsansätze stehen direkt daneben). :shifty:
"Ja, Junge, da kann man mal sehen, wie schlecht du denken kannst."
• Jean-Luc Picard

Antworten