Richard Laymon

Von Richard Laymon bis zu Tolstoi: Die Abteilung für Leseratten.
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diceman
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Beitrag von diceman » Mi 1. Mai 2013, 19:10

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Laymons Vision vom großen Beben in Los Angeles, welches kein Stein auf dem anderen lässt und die schlimmsten Seiten der Menschen nach außen kehrt, bläst uns als Exploitation-Granate ihr Schrapnell ins Gesicht ... Sheila hat's besonders schlimm erwischt, die liegt nämlich nackt in ihrer Badewanne, eingekeilt zwischen Balken und Stützpfeilern, unfähig, sich zu befreien. Und Stanley, der fette Perverse aus dem Nachbarhaus mit patriarchalischer Mutterfigur im Nacken, sieht endlich seine große Chance, mehr von ihr abzukriegen, als lediglich ihrem Hintern durchs Fernglas hinterherzuhecheln.

Jeder andere Autor hätte Sheilas Perspektive gewählt, aber Laymon wäre nicht Laymon wenn er sich für Opfer interessieren würde, also erleben wir das Geschehen aus Stans Blickwinkel, nehmen Teil an seinen Überlegungen und Bemühungen. Damit macht man uns zu Komplizen, Stanley mutiert zu einer Art tragischem Antihelden, was der Geschichte eine edgy Note gibt - um nachhaltig (und vor allem tief) zu schocken, fehlt Laymons undifferenziertem Jugendabenteuer-Stil dann aber doch der notwendige Punch. Flott liest sich das Buch allemal, die parallelen Handlungsstränge sind spannend und gespickt mit blutrünstigen Details, und auf den ersten paar Seiten gelingt Laymon sogar ein recht überzeugendes Bild vom Chaos-Szenario - kann dieses aber nicht aufrechterhalten. Schuld sind mal wieder seine Charaktere, die in unpassendsten Momenten mehr an primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen ihrer Mitmenschen interessiert sind, als das eigene Überleben im Auge zu behalten. Und der Sleaze, natürlich, der SLEAZE: sobald ein weiblicher Charakter die Bühne betritt, ganz gleich ob 13 oder 53 Jahre alt, wissen wir bereits nach ein paar Sätzen, ob die Person einen BH trägt oder nicht, ob ihre Nippel steif sind, etc. und Laymon ist auch noch so aufmerksam, uns alle paar Kapitel ein Update zu liefern, wieviel Zentimeter der Slip sich in wessen Pobacken gegraben hat, wieviel Schweißtropfen sich zwischen den Brüsten gesammelt haben seit der letzten Schilderung, usw.

Am Ende schaukeln sich die Ereignisse zu einem sicken, grimmigen Showdown hoch, Laymon schafft es dann aber nicht, den Ballon mit einem Knall platzen zu lassen, sondern lediglich etwas laue Luft mit einem Furzgeräusch entfahren zu lassen. So geil wie enttäuschend, ein echter Laymon eben. Würde mal gerne ein Buch von ihm lesen, wo die Charaktere mehr emotionale Tiefe blicken lassen, als entweder geil zu sein oder Angst zu haben.

Damit ist meine masochistische Ader aber noch lange nicht am Ende ihrer aneurysmatischen Ausdehnung angelangt ... während ich mich jetzt an Henry Miller versuche, darf sich Thorsten schonmal überlegen, welchem Laymon ich als nächstes eine letzte Chance geben soll. :mrgreen: Hatte schonmal grob BLOOD GAMES (seinen *hust* "Frauenroman") ins Auge gefasst, darfst mir aber auch gerne was anderes aufgeben. I'm your bitch.
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Thorsten Hanisch
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Beitrag von Thorsten Hanisch » Do 2. Mai 2013, 17:13

diceman hat geschrieben:um nachhaltig (und vor allem tief) zu schocken, fehlt Laymons undifferenziertem Jugendabenteuer-Stil dann aber doch der notwendige Punch.
Das ist übrigens so n bisserl der Grund weshalb ich von Laymon den Hals nicht voll genug kriegen kann, um Edward Lee & Co. aber eher n Bogen mach und mich auch nie so richtig in die an sich guten Bücher von Jack Ketchum verlieben konnte - Laymon ist trotz aller Schweinereien immer so herrlich drüber (Du beschreibst das ja auch sehr schön), halt eher 70er-Sleaze (mit einem Augenzwinkern) als Torture Porn - ich hab beim Lesen immer das Gefühl, dass der schmutzige alte Mann beim Verfassen sich über seine absurd-grotesken Einfälle selbst tierisch einen abgekichert hat.

Was weitere Bücher angeht: Seh gerade dass ich eine Seite zuvor was zu ein paar Titeln geschrieben hatte.

Besonders COME OUT TONIGHT und NIGHT IN THE LONESOME OCTOBER würd ich Dir ans Herz legen.

An OCTOBER denk ich - trotz nur ganz wenig Sex und kein Splatter ( :shock: ) sehr gerne zurück, den find ich fast schon ein wenig poetisch und vor allem mochte ich eine ganz bestimmte Idee.

Ich bleib jedenfalls dabei: Auch wenn Richie sicherlich kein literarisches Genie war und das ein oder andere Buch (vor allem die späteren) etwas schlampig wirkt - Ideen hatte der Mann und er kann oft mit schnellem Pinselstrich eine dichte Atmosphäre heraufschreiben.

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Beitrag von diceman » Fr 21. Jun 2013, 13:39

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Laymons "Frauenroman" über fünf College-Freundinnen, die nach ihrer Campus-Zeit ein entspanntes Wochenende in einem verlassenen Hotel irgendwo in den gruseligen Backwoods verbringen wollen, setzt mehr auf altmodische Spannung als auf Gross-Out-Horror, seine Portion Trademark-Exploitation kann sich Laymon natürlich trotzdem nicht verkneifen (soll er ja auch nicht). Viel passieren tut eigentlich nicht, trotzdem hält einen BLOOD GAMES bei der Stange, die stetigen Rückblenden in die College-Zeit haben wenig Verbindung zur Haupthandlung, helfen aber dabei, jedem der Mädels ein individuelles Gesicht zu verpassen und sind eine willkommene Abwechslung zu Laymons üblichen Charakter-Skizzen (small/medium/large breasts, okay/ugly/beautiful face). Das minutiöse Beschreiben von redundanten Handlungsdetails wirkt zuweilen wie eine Taktik, eine singuläre Idee auf Roman-Länge zu strecken, liest sich aber dank schnörkellosem, unprätentiösem Satzbau locker weg.
Eines muß man dem dicken Gore-Nerd lassen: er führt akribisch Buch darüber, welcher seiner Charakter gerade welches Kleidungsstück trägt, welches abgelegt, und was gerade wieder übergestreift wurde. Das geht soweit, daß ich mitunter irritiert ganze Kapitel zurückgeblättert habe, nur um sicherzustellen, daß die da tatsächlich gerade immer noch nackt durch den Wald rumlaufen. Yep, they do. Sonnig-fluffiges Slasher-Entertainment ohne Nährwert und Nebenwirkungen. Hätte Roger Corman in den 80ern sicherlich ohne größeren technischen Aufwand genauso runterfilmen können, dann hätt's vielleicht eventuell sogar Julio gefallen. :?
Nach viel pseudo-authentischem Girl-Talk, einem geradlinigen aber straffen Spannungsbogen und einem erfreulich atemlosen, sowie befriedigendem Showdown, bleibt allerdings nicht viel übrig, an was man sich hier erinnert. Würde ich zu Laymons Besseren zählen. :P
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Beitrag von Thorsten Hanisch » Fr 21. Jun 2013, 14:14

diceman hat geschrieben:Charakter-Skizzen (small/medium/large breasts, okay/ugly/beautiful face).
Du hast fat/ugly = villain, beautiful =hero (horny sind natürlich beide Parteien jederzeit, eh klar :)) vergessen.
diceman hat geschrieben:bleibt allerdings nicht viel übrig, an was man sich hier erinnert.
Würd ich, für mich, so nicht sagen. BLOOD GAMES war mein erster Laymon und hat mich dann an den Tropf gebracht. In Erinnerung geblieben sind vor allem die Szenen in diesem dunklen Schwimmbad. Ich fand das sehr atmosphärisch & sehr gruselig. Hat mich an mich erinnert, als ich als kleiner Junge allein in den nur schwach beleuchteten Keller meiner Oma musste. Diese Dunkelheit, dieses Unwissen, ist da jemand oder nicht...etc.

Ansonsten teile ich deine Meinung hier.

Find, wie oben gesagt, dass Laymon in guten Momenten (und die hatte er zum Glück recht oft) eine zum Schneiden dichte Atmo raufschreiben kann (was ihn in meinen Augen auch zu etwas mehr als einen reinen Sex & Violence-Autor bzw. erst zu einem guten Sex & Violence-Autor macht :) ).
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Beitrag von diceman » Fr 21. Jun 2013, 14:24

Das mit der Atmosphäre stimmt natürlich, das steckt wahrscheinlich irgendwo in meinem lapidaren "hält einen bei der Stange"-Satz drinnen. ;)
Ich hatte anscheinend das Pech, zuerst ISLAND gelesen zu haben, da muß sich seitdem alles dran messen. Und nach mittlerweile sechs fakultativen Laymon-Sessions bin ich entweder störrischer Masochist, der sich hier entlang einer alphabetischen Liste langsam nach unten quält und zwanghaft versucht, den Spaß, den er dabei empfindet, zu verleugnen, oder du darfst mich, trotz meiner immer noch latent reservierten Formulierungen, langsam zum Team zählen. What do you think? 8-)
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Beitrag von Yuki » Fr 21. Jun 2013, 17:01

Thorsten Hanisch hat geschrieben:als ich als kleiner Junge allein in den nur schwach beleuchteten Keller meiner Oma musste. Diese Dunkelheit, dieses Unwissen, ist da jemand oder nicht...etc.
:mrgreen: :mrgreen: :mrgreen: Wat war das denn für ein Keller?!

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Beitrag von Thorsten Hanisch » Fr 21. Jun 2013, 17:19

So einer aus Stein. Mit Treppe. Und Rotweinflaschen und Gemüseeintopfdosen auf den Regalen.
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Beitrag von Yuki » Fr 21. Jun 2013, 17:46

Ach so, ja dann ist natürlich klar, warum das so gruselig war. Gemüseeintopf iiihh :mrgreen: .

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Julio Sacchi
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Beitrag von Julio Sacchi » Sa 22. Jun 2013, 09:29

In Eurer Familie isst man schon seit Generationen Dosenfrass?

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Beitrag von Dodger » Sa 22. Jun 2013, 12:05

Thorsten Hanisch hat geschrieben:Hat mich an mich erinnert, als ich als kleiner Junge allein in den nur schwach beleuchteten Keller meiner Oma musste. Diese Dunkelheit, dieses Unwissen, ist da jemand oder nicht...
Natürlich war da jemand: Oma. Aber langsam kommt Licht ins Dunkel (hihi), was Deine Abneigung gegen SAW angeht...
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