Letztes Jahr in Marienbad (Alain Resnais)

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Blaupause
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Letztes Jahr in Marienbad (Alain Resnais)

Beitrag von Blaupause » Do 22. Mär 2018, 17:00

marienbad.jpg
LETZTES JAHR IN MARIENBAD (L’Année dernière à Marienbad) war im Zuge der TOP100-Umfrage zuletzt kurz Thema hier im Forum. Da ich den Film nun erstmalig gesehen habe, und um es nicht bei den kurzen Statements zu belassen, möchte ich ihm mit diesem Thread etwas mehr Aufmerksamkeit zu kommen lassen.

„Wir kennen uns.“
„Ich denke nicht. Vielleicht …“


Alain Resnais’ Werk aus dem Jahr 1961 beschreibt an der Oberfläche eine Dreiecks-Beziehung zwischen einer Frau (A), ihrem Verehrer (X) und ihrem Ehemann/Begleiter (M).
Der Verehrer beteuert, dass er die Frau bereits letztes Jahr hier in Marienbad (oder einem ähnlichen Ort) getroffen hat und sie beide ein Liebesverhältnis hatten. Die Frau kann sich daran nicht erinnern und so versucht X, mittels Anekdoten und Erinnerungsfetzen, A von seiner Version der Vergangenheit zu überzeugen. Vor der Kulisse einer prachtvollen Schlossanlage, die als Hotel genutzt wird, entsteht ein Geflecht aus wahren und eingebildeten oder gelogenen Erinnerungen. Als Zuschauer fällt man bereits nach kurzer Spieldauer zwangsläufig einer sogartigen Orientierungslosigkeit zum Opfer.
Die Szenenabfolge ergibt keinen Sinn, das gesprochene Wort ist nicht vertrauenswürdig, die Bilder wiederholen sich, widersprechen der Erzählung und bieten kaum Anhaltspunkte um das Geschehen zeitlich in einer etwaigen Handlung zu verorten. Es gibt keine merkliche Unterscheidung zwischen Erinnerung, Gegenwart, Wahrheit und Unwahrheit. Man ist völlig auf sich allein gestellt im Labyrinth von Marienbad und versinkt in der mantraartigen Orgelmusik.

Alain Resnais verfilmte hier ein Drehbuch von Alain Robbe-Grillet, der in den 50er Jahren ein Pionier des Nouveau Roman war. Diese neue französische Literatur-Form setzte auf „(..)die Abschaffung des Romanhelden und seiner Psychologie, durch Zerbröselung der Handlung, durch äußerst ungereimte Konstruktionen und endlose zwanghafte Beschreibungen vollkommen uninteressanter Objekte(..)“.
Resnais versuchte diese Roman-Struktur äquivalent auf die Leinwand zu transportieren und nutzt dafür z.B. schwelgerische Kamerafahrten über opulenten Stuck, durch leere Hotelgänge oder über die streng symmetrische Parkanlage des Hotels. Er setzt unsichtbare Schnitte und lässt den Zuschauer nie ein Raumgefühl innerhalb einer Szene bekommen. Stets kann sich ein Detail, eine Körperhaltung, oder eine Perspektive ändern. Das sorgt für andauerndes Unwohlsein, eine innerliche Anspannung beim Zuseher, eine unkonkrete Angst, wie sie auch die Frau durchlebt, als sie auf den Mann in ihrem Zimmer wartet.

Wessen Erinnerungen werden hier erzählt? Und welche gezeigt? Haben sich die beiden wirklich letztes Jahr (oder überhaupt) schon getroffen? Hat die Frau die Geschehnisse verdrängt, da etwas Schlimmes passierte? Gibt es den Mann überhaupt oder ist er ein Geist? Warum kann die Frau Details eines Zimmer beschreiben, in dem sie nie gewesen sein will? Geht es in der Geschichte ums Sterben? Gab es ein Verbrechen? Was hat es mit dem Ehemann/Spieler auf sich? Warum erkennt er die Frau nicht als er durch den grünen Salon geht? Welche Rolle spielt der Zuschauer?

So sehr mich MARIENBAD fasziniert hat und es wahrscheinlich weiter tun wird, so angestrengt hat mich das Ansehen selbst. Die knapp 90 Minuten sind wahrlich kein Zuckerschlecken und haben bei mir viel Geduld erfordert. Klar, das Unterkühlte und Statische sind essentielle Bestandteile dieses Kunstwerkes. Bei mir führte es in Verbindung mit den dauernden Wiederholungen, der völligen Abwesenheit von emotionalen Regungen, und einer nur unterschwellig wahrnehmbaren Zuspitzung der Ereignisse für Frust, vor allem im letzten Drittel. Ohne Frage fühle ich mich herausgefordert von diesem rätselhaften Klassiker der Filmgeschichte, aber ich blicke der nächsten Sichtung nun nicht unbedingt mit größter Vorfreude entgegen.

LETZTES JAHR IN MARIENBAD wird ein Mysterium bleiben. Es ist wie mit dem Spieler im Film, der theoretisch verlieren könnte, aber stets gewinnt. Der Zuschauer hat immer wieder die Chance das Rätsel zu entschlüsseln, das Geheimnis zu lüften. Am Ende aber gewinnt jedes Mal der Film, da seine Interpretationen zwangsläufig in Sackgassen enden müssen und sollen.

1994 haben die Britpopper von BLUR dem Film mit ihrem Video zu TO THE END eine wunderbare Hommage gewidmet:


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SvenT
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Beitrag von SvenT » Do 22. Mär 2018, 17:25

Top! Dank Dir für den schönen Beitrag.

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Julio Sacchi
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Beitrag von Julio Sacchi » Do 22. Mär 2018, 17:28

Auch von mir ganz herzlichen Dank und viel Liebe.

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Beitrag von Bewitched240 » Do 22. Mär 2018, 17:29

Sehr guter Beitrag! Anstrengend ist der Film mit Sicherheit. Aber für mich ist das Anstrengung der schönsten Art.

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Sylvio Constabel
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Beitrag von Sylvio Constabel » Fr 23. Mär 2018, 01:10

Dieser Film ist eine Frechheit und die Inkarnation des großen Pisseeimers. Aber eins schafft er ganz gut, er schafft es, daß sich seine Fans überlegen und besser als der Rest fühlen. :lol:
#imstrahlkotzen
Bei Sylvio mag ich, er guckt halt auch viel mit dem Herzen. Jimfried Nullinie

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Jaan
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Beitrag von Jaan » Fr 23. Mär 2018, 02:41

^ So geht's mir immer bei Greenaway.
Habe MARIENBAD nicht verstanden, aber jedesmal anders nicht verstanden.
Mehr braucht es nicht für Top 30.
Besser als der Rest fühl ich mich eh, da brauch ich keine Filme für 8-)
If you're in a war, instead of throwing a hand grenade at the enemy, throw one of those small pumpkins. Maybe it'll make everyone think how stupid war is, and while they are thinking, you can throw a real grenade at them.

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Blaupause
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Beitrag von Blaupause » Fr 23. Mär 2018, 08:58

Sylvio, ich würde mich nicht als MARIENBAD-Fan bezeichnen, aber durchaus als KINO-Fan. Und als solcher reizt mich der Film enorm. Gerade weil er so ein kurioses und anstrengendes Unikat der Filmgeschichte ist.

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Julio Sacchi
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Beitrag von Julio Sacchi » Fr 23. Mär 2018, 09:33

Jetzt versuch doch nicht, mit Blödpool zu reden.
Du sprichst von Molekularküche, er hört bei McDonald's auf.

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Don Kolleone
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Beitrag von Don Kolleone » Fr 23. Mär 2018, 10:51

Für ne Schrecksekunde befürchtet, Sam Trautman wäre zurück. Zum Glück war's doch Bauplauze. Puuh.
"Krieg ist wie Kino. Vorne flimmerts, hinten sind die besten Plätze." - Arnim Dahl

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Frau Stockl
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Beitrag von Frau Stockl » Fr 23. Mär 2018, 11:11

Habs nicht gelesen.
Finds aber gut.
Dass man sich damit beschäftigt und 'verarbeitet' hat.
Ist schon mal mehr Anstrengung, als das Ding gleich nach dem Vorspann auszumachen.
Film selber heb ich mir auf.
Für kurz vorm Abnibbeln.
~ Hoffnung ist die kleine Schwester der Verzweiflung.

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